Montag, 25. Februar 2013

Vertuschung statt Transparenz: Wie Bischöfe die Öffentlichkeit hinter’s Licht führen

Foto: ca

weitere Vortragende (von links nach rechts:
 Dr. Thomas Schnitzler,
Matthias Krause,
Dr. Thomas Seiterich (Moderator),
Rainer Stadler (Autor: "Bruder, was hast du getan?: Kloster Ettal. Die Täter, die Opfer, das System")






Skript von "skydaddy.de" zum Vortrag "- "Macht, sexuelle Gewalt und die katholische Kirche"
 (19.02.2013, Trier, Palais Walderdorff)



Guten Abend!


Mit dem Missbrauchsskandal 2010 kamen ja etliche Fälle ans Licht, wo die Kirche auch nach der  Verabschiedung der Leitlinien von 2002 weiter Missbrauchstäter eingesetzt hat. Dadurch lässt sich  nun für diese Zeit sehr gut gegenüberstellen, was die Kirche während dieser Zeit – 2002 bis 2009 – gesagt hat – und was sie während dieser Zeit getan hat. Oder vielleicht besser: Was sie nicht getan hat. 

Das will ich heute Abend tun für das Bistum Hildesheim. Warum gerade das Bistum Hildesheim? Nun, zum Einen gab es dort ja 2011 – also ein Jahr nach dem Missbrauchsskandal und nach der Verabschiedung der geänderten Leitlinien – diesen Fall mit dem pädophilen Pfarrer aus Salzgitter; der ist letztes Jahr wegen Missbrauchs in 240 Fällen verurteilt worden – 214 davon – also fast alle –schwerer Missbrauch [also mit Eindringen]. Und das waren nur die Fälle, die man ihm nachweisen konnte und die er gestanden hat. 

Es stellte sich dann heraus, dass die Familie eines Opfers sich schon drei Mal beim Bistum über diesen Pfarrer beschwert hatte, und dass der Betreffende praktisch sämtliche Verhaltensweisen zeigte, typisch für pädophile Pfarrer sind. Er pflegte ein enges Verhältnis zu den Familien seiner Opfer, machte den Kindern großzügige Geschenke, fuhr mit der Familie in den Urlaub und auch mit mindestens einem Opfer alleine in den Urlaub, übernachtete mit einem Opfer im selben Bett – trotzdem ließ das Bistum Hildesheim ihn weiter mit Kindern und Jugendlichen arbeiten und sogar mit Jugendgruppen verreisen. 

Bei den Recherchen für mein Blog fand ich heraus, dass das Bistum Hildesheim auch nach der Verabschiedung der Missbrauchs-Leitlinien 2002 weiterhin fast ununterbrochen wissentlich Missbrauchstäter mit Kindern und Jugendlichen eingesetzt hat. 

Jetzt könnte man einwenden: Vielleicht ist das Bistum Hildesheim ja nicht repräsentativ. Ich kann das nicht beurteilen, weil ich nicht die Zeit habe, auch noch die 26 anderen deutschen Bistümer zu recherchieren. 

Ist aber auch egal, denn bei meinen Recherchen stellte sich noch etwas anderes heraus: Das Bistum Hildesheim hatte sich zwischen 2002 und 2010 als Muster-Bistum in Sachen Missbrauch etabliert. Wenn die Medien nach einem auskunftsfreudigen Missbrauchsbeauftragten suchten, wurden sie zum Bistum Hildesheim geschickt. Man hatte dort sogar einen eigenen „Vorzeige-Pädophilen“ –  einen pädophilen Priester, der Journalisten Rede und Antwort stand. 

So meldete das Bistum Hildesheim selbst im August 2004 auf seiner Website unter dem Titel "Aus Fehlern gelernt"... Eine große Lernbereitschaft des Bistums in Bezug auf pädophile Seelsorger hat der Hildesheimer Domkapitular Werner Holst, Leiter der Hauptabteilung Pastoral/Seelsorge, gegenüber einem Team des SWR-Fernsehen betont. ... 

Nach Auskunft von SWR-Redakteurin Ute-Beatrix Giebel war ihnen das Bistum Hildesheim als besonders offen in dieser Frage empfohlen worden. 

[...] 

Umweltpfarrer Klaus [J.], der sich nach einer pädophilen Verfehlung einer mehrjährigen Therapie unterzogen hatte, berichtete vor der Kamera über seine Empfindungen und Erfahrungen und bescheinigte dem Bistum und seinen Verantwortlichen, in seinem Falle das Richtige getan zu haben. 

Die pädophile Verfehlung bestand übrigens darin, dass eine Mitarbeiterin Kinderpornos in seinem Büro gefunden hatte. Wer liest, dass dieser Pfarrer sofort suspendiert und therapiert wurde, der erwartet wohl nicht, dass im gleichen Bistum Priester, die tatsächlich Kinder missbraucht haben, mit Wissen der Verantwortlichen weiterhin mit Kindern eingesetzt wurden. 

Wenn man sich aber jahrelang selbst als Musterbistum präsentiert, dann muss man sich auch gefallen lassen, dass der Rhetorik einmal die Realität gegenüber gestellt wird. 

Und wie sieht diese Realität aus? 

Der Missbrauchsskandal 2010 begann ja mit den Enthüllungen über das Berliner Canisius-Kolleg. Dort gab es zwei Haupt-Täter, von denen der eine, Peter R., später im Bistum Hildesheim eingesetzt wurde, wo es zu weiteren Missbrauchsfällen kam.  Als das herauskam, meldete das Bistum Hildesheim auf seiner Website am 2. Februar 2010 unter der Überschrift "Tragweite eindeutig unterschätzt"[...]. Mit großer Bestürzung hat das Bistum Hildesheim von den sexuellen Übergriffen auf Schüler des Canisius-Kollegs in Berlin erfahren. 

Übrigens eine schöne Formulierung, denn von Übergriffen des Priesters im eigenen Bistum wusste man ja bereits. 

Einer der beschuldigten Priester, Pater Peter R., hat von 1982 bis 2003 [also gut 20 Jahre] mit kurzen Unterbrechungen im Bistum Hildesheim gewirkt. 

Dabei kam es auch zu sexuellen Übergriffen. [...] 

Der Jesuitenpater Peter R. war im Herbst 1982 von seinem Orden in die JesuitenNiederlassung Göttingen im Bistum Hildesheim versetzt worden. Dort übernahm er [...] die Aufgaben des Dekanatsjugendseelsorgers. Bei der Einstellung war dem Bistum nichts über etwaige Verfehlungen des Priesters bekannt. 

Im Oktober 1993 informierte eine Mutter den damaligen Hildesheimer Bischof Dr. Josef  Homeyer, Peter R. habe ihre 14-jährigeTochter unsittlich berührt. Daraufhin wurde Peter R. die Jugendarbeit verboten, dieses Verbot aber nicht konsequent durchgehalten. 

1995 verließ Peter R. den Jesuitenorden und wurde als Priester in das Bistum Hildesheim aufgenommen. Das Bistum hat den Priester übernommen, obwohl es bereits von einem Missbrauch wusste. 

Im Jahre 1997 wurden Peter R. Unregelmäßigkeiten in seiner Amtsführung sowie weitere sexuelle Belästigungen vorgeworfen. Daraufhin wurde Peter R. aus der Gemeinde versetzt. [Er wurde dann in anderen Gemeinden eingesetzt.] Aus gesundheitlichen Gründen wurde Peter R. im März 2003 in den Ruhestand versetzt und zog nach Berlin. 

In dieser Pressemitteilung kommt auch Altbischof Homeyer zu Wort: „Aus heutiger Sicht haben wir die Vorwürfe zu wenig ernst genommen und die Tragweite der weiteren Entwicklungen eindeutig unterschätzt“, sagt dazu der emeritierte Bischof Dr. Josef Homeyer. „Ich bedaure dies zutiefst.“ 

Altbischof Homeyer bedauert also, man habe die Tragweite damals unterschätzt. Vor den Enthüllungen klang das allerdings ganz anders. So veröffentlichte die bischöfliche Pressestelle 2002 – also als Peter R. schon 9 Jahre wissentlich weiter eingesetzt war – ein Interview mit dem damaligen Personalleiter des Bistums, Werner Holst, unter der Überschrift  "Der Opferschutz hat Vorrang"[...]  Pressestelle: Welche Strategie verfolgt das Bistum Hildesheim heute in Fällen sexuellen  Missbrauchs durch Priester? Holst: Der Schutz des Opfers hat für uns den absoluten Vorrang! Wenn ein Verdacht besteht, leiten wir sofort eine Untersuchung ein. [...] Steht die Schuld fest, muss sofort gehandelt werden. Wir bestehen darauf, dass sich der Täter selbst anzeigt oder eine Anzeige durch Dritte erfolgt. Der betroffene Priester muss sich den strafrechtlichen Konsequenzen seines Verhaltens stellen. [....] Außerdem muss die Gemeinde informiert werden. [...] Wenn ein auffällig gewordener Geistlicher wieder in den priesterlichen Dienst zurück kehrt, darf er auf keinen Fall mehr Kontakt zu Kindern haben. [...] Vertuschen, Wegschieben und Verdrängen, das darf nicht sein.

Im selben Jahr, als Peter R. endlich in den Ruhestand versetzt wurde, erfuhr Bischof Homeyer, dass ein Dechant aus Celle 1993 einen Jungen missbraucht hatte. Im Zuge des Missbrauchsskandals meldete das Bistum im März 2010 – mit dem Wissen, dass die Lokalzeitung am nächsten Tag über den Fall berichten würde: 

Der ehemalige Celler Dechant Hermann S. war vor 15 Jahren [...] außerhalb des Bistums Hildesheim schuldig geworden. 2003 ist dieser Fall dem Bistum Hildesheim bekannt geworden. Die Familie des Opfers hatte das Bistum ausdrücklich um Verschwiegenheit gebeten und eine strafrechtliche Verfolgung abgelehnt. 

Das Bistum ließ den Priester allerdings weiter in Celle eingesetzt. 2006 kam es dort dann erneut zu Vorwürfen gegen ihn. Er wurde dann aus aus Celle abgezogen – offiziell „gesundheitlichen Gründen“. Zehn Monate später wurde er wieder eingesetzt, und zwar in einer Seelsorgeeinheit im Eichsfeld. Das Eichsfeld gilt als erzkatholisch, vielleicht erinnern Sie sich an die Messe, die der Papst dort bei seinem Besuch 2011 zelebrierte. 

Dieser Einsatz ist auch insofern interessant, als dieser Geistliche im Jahr seines Amtsantritts im Eichsfeld – 2007 –, angezeigt wurde. Wenn man davon ausgeht, dass die Verantwortlichen des Bistums von dem Strafverfahren Kenntnis hatten, hätten sie ihn also weiterhin eingesetzt, obwohl sie wussten, dass die Vorwürfe zutrafen. Erst als der Pfarrer 2009 verurteilt wurde – zu einer Bewährungs- und Geldstrafe – wurde er in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. „Aus gesundheitlichen Gründen.“ 

Die Gemeinden seiner Seelsorgeeinheit wurden überhaupt nicht eingeweiht, und es ist erschütternd, jetzt noch im Nachhinein im Internet die Abschiedsrede zu lesen, die damals gehalten wurde. Darin heißt es: Herr Pfarrer, als Sie im September den Seelsorgeeinheitsrat von Ihrer schweren Erkrankung und dem bevorstehenden Ruhestand in Kenntnis setzten, herrschte unter allen Anwesenden zunächst tiefe Betroffenheit. Das minutenlange Schweigen hat dann jemand mit der Frage beendet: „Herr Pfarrer, wie können wir Ihnen helfen?“ 

Und nun stand auf einmal nicht mehr nur unsere eigene unsichere Gemeindesituation im Raum, sondern auch das Schicksal des Menschen Hermann [S.]. Durch den Zeitungsartikel und die Pressemitteilung des Bistums erfuhr dann natürlich auch die ehemalige Gemeinde in Celle, dass der Dechant tatsächlich einen Missbrauch begangen hatte und mit Wissen des Bistums weiter eingesetzt geblieben war. Deshalb mussten Domkapitular Bongartz und Pressesprecher Dr. Lukas dann auch der ehemaligen Celler Gemeinde Rede und Antwort stehen. Auf dieser Veranstaltung erklärte Bongartz – hören Sie gut zu! – : 

Es ist wahr, dass Dechant [S.] 1995 in Ostdeutschland ein Missbrauchsverbrechen begangen hat. [...] Acht Jahre später hat sich die Familie an den Ortsbischof gewandt. [...] Das Bistum hat sehr deutlich mit Herrn [S.] gesprochen. Daraufhin ist ein psychologisches Gutachten erstellt worden, dass der Übergriff nicht aus einer pädophilen Neigung heraus geschehen sei. Es ist außerdem bescheinigt worden, dass ein weiterer Einsatz in der Pfarrgemeinde ausdrücklich ohne Auflage möglich ist. Die deutsche Bischofkonferenz hat 2002 vier der besten Forensiker benannt, um die Kirche zu beraten und Gutachten zu erstellen.  Das kann von einem arglosen Zuhörer nur so interpretiert werden, dass der Dechant unmittelbar, nachdem das Bistum von dem Missbrauch Kenntnis erhielt, eine Therapie anfing und ein psychologisches Gutachten erstellt wurde, das einen weiteren Einsatz in der Celler Gemeinde ohne Auflagen befürwortete. 

Tatsächlich deutet aber alles darauf hin, dass Therapie und Gutachten erst Jahre später erfolgten, nachdem der Dechant aus Celle abgezogen worden war – nämlich in den zehn Monaten, bis er im Eichsfeld wieder eingesetzt wurde. Ich habe beim Bistum Hildesheim angefragt, wann genau Therapie und das Gutachten erfolgten, aber man wollte mir das nicht mitteilen. Man darf also davon ausgehen, dass Bischof Homeyer und der Missbrauchsbeauftragte Holst den Dechanten 2003 ohne Therapie und Gutachten weiter in Celle belassen haben – entgegen der „vorbildlichen“ Ausführungen des Missbrauchsbeauftragten in all den Jahren. 

Wenn man sich die Ausführungen des Missbrauchsbeauftragten Bongartz bei der Krisensitzung in Celle 2010 genau anschaut, dann erkennt man, dass es sich dabei um ausgeklügelte Formulierungen handelt, die offen lassen, wann Therapie und Gutachten stattgefunden haben und wer bescheinigt hat, dass der Dechant ohne Auflagen weiter eingesetzt werden konnte. Von daher ist durchaus denkbar, dass damals Bischof Homeyer oder Personalleiter Holst „bescheinigt“ haben, dass der Einsatz weiter ohne Auflagen möglich sei – und keiner der Gutachter, die Bongartz in diesem Zusammenhang erwähnte. Die Gutachter werden nämlich nur erwähnt – Bongartz sagte aber nirgends, dass es einer dieser Gutachter war, der bescheinigte, dass der Dechant ohne Auflagen weiter eingesetzt werden konnte. 

Er sagt nur: „Es wurde bescheinigt...“ Es sieht also so aus, als ob der Hildesheimer Missbrauchsbeauftragte noch Ende März 2010, als die Bischöfe allgemein Besserung, Transparenz und Offenheit gelobten, die ehemalige Celler Gemeinde des übergriffigen Dechanten gezielt über den tatsächlichen Zeitpunkt der Therapie und des Gutachtens getäuscht hat, um den falschen Eindruck zu erweckten, der Priester sei aufgrund eines psychologischen Gutachtens weiter eingesetzt worden. 

Ich sage nicht, dass es so war – sondern nur, dass es so aussieht. Und das Bistum Hildesheim wollte mir eben auch auf Nachfrage nicht mitteilen, wann genau Therapie und Gutachten erfolgten. Und es wäre auch nicht das erste Mal gewesen, dass die Verantwortlichen beim Bistum Hildesheim die Öffentlichkeit getäuscht haben. So schrieb der jetzige Bischof Trelle 2010, in zwei Briefen an die Katholiken und an die Beschäftigten seines Bistums, er habe „‘Ausführungsbestimmungen zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger [...]‘ erlassen und sie zum 1. Januar 2010 in Kraft gesetzt.“ Sein Missbrauchsbeauftragter Bongartz hat sich damals ähnlich geäußert. Damit sollte offenbar der Eindruck erweckt werden, beim Bistum Hildesheim hätte man bereits vor dem Missbrauchsskandal entsprechende Ausführungsbestimmungen erlassen. Tatsächlich traten die Ausführungsbestimmungen aber nicht, wie behauptet, schon am 1. Januar 2010 in Kraft – also noch vor dem Missbrauchsskandal – in Kraft, sondern erst mit ihrer Veröffentlichung im Bistumsanzeiger Mitte Februar – also nach dem Beginn des Missbrauchsskandals.

Und es ist sehr deutlich, dass dafür in größter Eile die Ausführungsbestimmungen des Bistums Aachen per Copy & Paste auf Hildesheim 6 angepasst wurden – an einer Stelle findet sich nämlich noch ein Hinweis auf den Aachener Bistumsanzeiger. Und da sich vor dem Missbrauchsskandal zumindest im Internet nirgends der geringste Hinweis auf diese Ausführungsbestimmungen findet, lässt sich das zwanglos so deuten, dass Bischof Trelle und sein Missbrauchsbeauftragter, als sie vom Rektor des Canisius-Kollegs vorgewarnt wurden, schnell noch Ausführungsbestimmungen zusammengebastelt und rückdatiert haben, um den Eindruck zu erwecken, das Musterbistum hätte sich schon vor dem Skandal darum gekümmert. 

Aber meine Zeit ist um, das müssen sie auf meinem Blog nachlesen: www.skydaddy.de. 

Vielen Dank.