Donnerstag, 19. April 2012

„Ich habe das Kleid von Jesus gesehen.“ (Leni, 5)



Nein, liebe Leni. Du hast nicht das Kleid von Jesus gesehen:  Man hat dich verarscht!

Das Kleid von Jesus ist nämlich nicht wirklich das Kleid von Jesus Christus.
Aber Bischof Ackermann hat dir das leider nicht erklären können. Er war ja schließlich nicht dabei, an dem Tag an dem du in Trier warst, sondern er hatte wichtigeres zu tun. 


Was kümmern ihn die kleinen Kinder? Und die Wahrheit?


Liebe Leni,

lass es mich dir so erklären:

Der Heilige Rock ist nur dann echt, wenn ein Trierer Bischof dies so haben möchte. Genauer gesagt, betrifft diese Echtheit auch nicht den ganzen Rock, sondern nur ein Fragment, das bedeutet, nur ein klitzekleines Stückchen von dem Stück Stoff, dass du dir da angeschaut hast. Und ob dieses klitzekleine Stückchen echt ist, nun ja, also das hängt - wie gesagt - vom jeweiligen Bischof  ab. Quasi, wie er gerade gelaunt ist. Oder anders ausgedrückt: Sobald der Bischof merkt, dass er ganz viel Geld dafür bekommt, ändert er seine Meinung. Nur einmal als Beispiel: Jahrelang hieß es, der Rock sei echt. Doch heute darf er nicht mehr echt sein. Dann kämen nämlich die Evangelischen nicht mehr den Rock anschauen und der Bischof würde nicht so viel an der Wallfahrt verdienen. Das Recht darf sich ein Bischof seiner Meinung nach nehmen. Viele Leute sagen: "Ey Bischof! Wieso veräppelst du uns eigentlich?" Aber dann versucht dir der Bischof  entweder eine Geschichte von einem Pferd zu erzählen und die Frage der Leute auf diese Weise zu beantworten, oder aber der Bischof hat plötzlich gaaaanz starke Ohrenschmerzen und kann -  auf dem einen Ohr zumindest - gar nichts mehr hören. Aber keine Angst, der Bischof sagt natürlich nur, er habe Ohrenschmerzen. In Wirklichkeit geht es ihm nämlich sehr gut. Er wohnt in seiner Residenz nämlich nahezu wie in einem Schloss. Mit ganz viel Gold und ganz viel Prunk. Das bedeutet wertvolle Bilder und Gegenstände, die ganz ganz teuer sind. Das macht ihm dann auch nichts aus, dass es da ganz viele Kinder in seinem Bistum gibt, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Er denkt sich dann einfach: "Oh. Da muss ich irgendeine Einrichtung erfinden, die hört sich ganz gut an und hilft den armen Kindern". Aber auch das ist ein Trugschluss: Denn in Wirklichkeit ist diese Einrichtung nur eine große große Show. Mehr nicht. Dabei wäre es viel sinnvoller, die bösen bösen Priester aus seinem Bistum zu nehmen, die den kleinen Kindern ganz arg wehgetan haben und auch heute noch wehtun können. Denn aus diesen kleinen Kindern von damals, die von den Priestern verletzt wurden, sind heute teilweise erwachsene Menschen geworden. Ein paar von ihnen wurden allerdings von den Priestern so sehr verletzt, dass sie gar nicht mehr leben wollten. Für die beten wir heute. Diejenige, die jedoch überlebt haben, haben heute teilweise selbst kleine Kinder. Auch in deinem Alter, liebe Leni. Und wir machen uns da ganz große Sorgen um Kinder wie dich, dass auch sie nicht von den bösen Priestern verletzt werden.  Mehr wollen wir gar nicht. Wir sagen nicht, dass es den lieben Gott nicht gibt, oder dass alles böse ist. Nein. Dem ist gewiss nicht so. Wir möchten nur, dass du niemals auf diese grausame Weise verletzt wirst, wie man uns verletzt hat.

Als Beispiel erzähle ich dir die Geschichte von einem Mädchen, dass damals so alt war wie du heute bist. Sogar noch ein wenig jünger. Das Mädchen ging in einen katholischen Kindergarten. Genau wie du.   Das Leben des  Mädchens war unbeschwert. Es sehnte sich nach jedem einzelnen neuen Tag in ihrem Leben und freute sich darauf, am nächsten Tag neue Abenteuer mit ihren Freundinnen zu bestehen. Das kleine Mädchen war lebenshungrig.  Und es hatte Träume. Und es malte sich seine Zukunft aus. Das kleine Mädchen träumte davon, irgendwann ein weißes Brautkleid tragen zu dürfen und dem Mann, mit dem es ein Leben teilen wollte, ein Eheversprechen zu geben. Das Mädchen träumte auch davon, Kindern das Leben zu schenken und sie glücklich aufwachsen zu sehen. Das kleine Mädchen träumte davon, Menschen in ihrem Leben begleiten zu dürfen und deren Freude zu verdoppeln und ihr Leid zu teilen. Dieses kleine Mädchen träumte davon, in ihrem Leben noch ganz oft Lächeln zu dürfen. Und zwar von Herzen. Dieses Mädchen träumte auch davon, später ihren Lieblingsberuf ausüben zu dürfen und zwar viel länger, als es später tatsächlich zugestanden wurde. Das Mädchen träumte davon, andere Menschen glücklich zu machen. Und es träumte davon, einfach so zu sein, wie die Menschen um es herum. Das kleine Mädchen träumte davon zu vertrauen. Auch sich selbst. Dass das, was sie sieht, hört, schmeckt, riecht und fühlt, kein Trugbild ist. Sie träumte davon, sich in den Arm nehmen zu lassen.

Doch als das Mädchen so alt war wie du, wollte es sterben.

Denn die Kindheit dieses kleinen Mädchens endete so abrupt wie qualvoll.

Das, was das Mädchen in dem katholischen Kindergarten – der auch gar nicht so weit weg von dem Ort ist, in dem  lebst - erlebt hatte, war wirklich unangenehm. Nein, es war nicht unangenehm: es war grauenvoll. Und nein, es tat nicht nur weh: Es hat zerstört. Ein ganzes Leben.

Ein Alptraum, der nicht enden sollte.

Das Mädchen wurde zum Schweigen gezwungen. Und wenn das Mädchen nicht schweigen würde, würde etwas Schreckliches passieren. Drohte er dem  kleinen Mädchen. Und das Mädchen lernte zu schweigen. Die Schreie des Mädchens erreichten niemanden mehr – auch sie verstummten. Wenn das Mädchen hätte schreien können, wären die Menschen herum wohl taub geworden. Dieses Mädchen lernte später auch mehrere Sprachen, in der Hoffnung, man würde es verstehen. Doch niemand verstand. Oder wollte verstehen.

So begann das Mädchen, mit seinem Verhalten zu schreien und mit dem, was es tat. Doch das Mädchen erntete Kopfschütteln und Verständnislosigkeit.
Irgendwann begann das kleine Mädchen damit, sich seine Arme aufzuschneiden. Nein, es ritzte nicht, sondern es schnitt. Zuerst mit Scherben, dann mit einem Skalpell. Zuerst in ihrem hübschen Gesicht. Dann in die Arme. Tief. Großflächig.
Als man das Mädchen danach fragte, was es denn da wieder getan habe, antwortete das Mädchen „Ich habe mich verletzt.“  Und das war die Wahrheit – insofern es überhaupt eine gibt. 
Eine Inzision ohne medizinische Indikation an sich selbst durchzuführen, setzt einen enormen Hass voraus. Aber der war gegeben. Den Hass spürte das Mädchen seit seiner Kindheit in sich – immer und immer wieder. Immer und immer mehr. Und die Verzweiflung und innere Zerissenheit wurde umso größer und verwirrender, als dass das Mädchen nach außen hin als artiges, gehorsames und liebenswertes Mädchen galt.

Obwohl das Mädchen über Jahre hinweg nicht wusste, wem dieser Hass eigentlich galt, wie und wo es ihn zuordnen konnte, so verspürte das Mädchen doch instinktiv, dass er enorm groß war und der Hass das Mädchen ungemein beeinträchtigte.
Und so begann das Mädchen damit, den Hass gegen sich selbst zu richten. Nicht nur auf der körperlichen Ebene. Auch auf seiner seelischen Ebene.  Irreparabel.
Nach zahlreichen Jahren brauchte sich das Mädchen keine Verletzungen mehr zuzufügen: Sein Körper hatte verstanden! Er passte sich dem Mädchen an und begann damit, sich selbst zu zerstören. Von ganz tief innen heraus. Die Nervenbahnen zerstören sich selbst.  Sie liegen regelrecht blank. Die Impulse können nicht mehr weitergeleitet werden. Wie im wahren Leben. Das Gehirn, die Schaltzentrale, in der die Signale über das Rückenmark zum Körper gesendet oder von dort empfangen werden, wird immer weniger Signale geben können. Unheilbar. Die Signale, die das Mädchen als kleines Kind verzweifelt versuchte zu senden, kamen ja auch nicht an.

Mutismus. Selbstverletztendes Verhalten. PTBS. Status asthmaticus. Dissoziationen. Borderline. Depression. Schlafstörung. Substanzmittelmissbrauch. Therapien. Generalisierte Angststörung. Klinikaufenthalte. Suizidalität. Multiple Sklerose. Berentung. Ungefähr in der Reihenfolge – von dem, was das Mädchen von damals heute an dieser Stelle bereit ist, preiszugeben.

Auch die Attribute Selbstbild, Identitätsstörung, Entwertung, Idealisierung, Dysphorie, dichotome Denkmuster, projektive Identifikation, Reviktimisierung, Teilamnesien, Anhedonie stellten einen festen – und nicht minderen  -  Bestandteil der Biografie dieses kleinen Mädchens im späteren Leben dar.

Wo waren die 14 Englein, die über dem Mädchen wachen sollten?

Heute kommte es dem kleinen Mädchen von damals unrealistisch vor, dass es bis heute überlebt hat. Dass das kleine Mädchen von damals es bis heute tatsächlich geschafft haben sollte, zu überleben. An Tagen wie diesen fragt sich das Mädchen von damals, ob es in Wirklichkeit vielleicht nicht schon tot ist. Den Tod fürchtet das Mädchen von damals nicht mehr. Zu oft hat es ihn inzwischen herbeigesehnt, um endlich den qualvollen Schmerzen entkommen zu können. Was könnte dem Mädchen von damals heute noch Angst machen, das als Kind die mitunter abscheulichsten Abgründe der menschlichen Psyche erfahren musste?


Und davor wollen wir dich, liebe Leni , bewahren.
Wir sagen auch nicht, dass alle Priester böse sind. Nein, da gibt es auch ganz ganz viele gute.
Aber so lange der Bischof Ackermann es zulässt, dass auch heute noch die bösen Priester Kontakt zu Kindern und Jugendlichen haben können, und dir und deinen Freundinnen und Freunden auch in diesem Moment etwas böses antun können, tja, liebe Leni, ebenso lange werden ganz viele Erwachsene und nicht nur im Bistum Trier – sondern überall auf der ganzen weiten Welt dafür kämpfen, dass der Bischof Ackermann und seine Kollegen das endlich einsieht und sagt: „Solche Menschen dürfen keine Priester sein“. So ähnlich hat das auch der Papst gesagt. Aber auf den hat niemand gehört. 


Daher versuchen wir, dass der Bischof Ackermann wenigstens auf uns hört. Denn vielleicht kann er ja mehr tun, als der Papst. Wir denken, dass ist nicht zuviel verlangt. Und das tut auch keinem weh. Aber der Bischof Ackermann und sein Pressesprecher, der ihm alles nachplappert und auch mal lügt,  auch wenn der Bischof seine Meinung ändert, tun sich da noch im Moment noch mächtig schwer damit.

Dabei geht es ihnen wahrscheinlich um die Macht – wie so oft im Leben. Sie kennen das wahrscheinlich auch nicht anders. Der eine steckt in einem System fest, obwohl er mit Sicherheit auch eine menschliche Seite hat. Und der andere, na, den kann man eh vergessen. Der ist auch eigentlich nicht so wichtig, wie er es gerne sein möchte.  Auch, wenn er meint, ein Schild vor sich tragen zu müssen, auf dem draufsteht: "Ich bin wirklich Doktor." Das nützt ihm aber auch nichts. Den Charakter eines Menschen kann man nämlich nicht studieren. Aber das ist wieder eine andere Geschichte. 


Liebe Leni, 


uns geht es nur darum: 

SCHÜTZT ENDLICH UNSERE KINDER VOR SEXUELLEM MISSBRAUCH DURCH ANGEHÖRIGE DER KATHOLISCHEN KIRCHE!


Ich hoffe, du verstehst jetzt unsere Sorge und damit unser Verhalten etwas besser.  Ich auf jeden Fall wünsche dir für dein Leben von Herzen alles Liebe und Gute. Und ich wünsche dir, dass aus dir einmal eine ganz Große wird, die an sich selbst glaubt und sich ihr eigenes Bild von dieser Welt macht. Und sich nicht von irgendeinem erzählen lassen muss, dass der Heilige Rock echt sei.