Herkunft und Echtheit sind ungewiss. Dennoch zieht die Reliquie Tausende in ihren Bann. Eine textilarchäologische Annäherung
Der Weg zum Heiligen Rock führt entweder nach Trier ins Moseltal oder über kleine Sträßchen in die Schweizer Alpen. Wie ein geschwungener Flusslauf ziehen sich von Bern die Kurven hinauf bis nach Riggisberg, einem idyllischen Dorf mit eigener Käserei und einem international bekannten Textilmuseum. Dort, in der Abegg-Stiftung, nicht weit von Eiger, Mönch und Jungfrau, arbeitet Regula Schorta, und sie kommt dem Heiligen Rock näher als sonst jemand.
„Trocken fühlt er sich an“, sagt sie. Die Textilarchäologin ist eine freundliche Frau, die Beschreibungen wie Fäden verwebt. Regula Schorta wird in der Nacht vor dem Beginn der Wallfahrt in der Heilig-Rock-Kapelle hinter dem Hochaltar des Trierer Doms dabei sein, wenn der Heilige Rock umgebettet wird. Fast auf den Tag genau 500 Jahre ist es dann her, dass Kaiser Maximilian I. den Heiligen Rock das erste Mal öffentlich ausstellen ließ. Wie es damals zuging, lässt sich heute nicht mehr im Detail rekonstruieren.
Heute sind die Abläufe sorgfältig geplant: Die Domschreiner entriegeln zuerst den äußeren Schrein aus Glas, der das angebliche Gewand von Jesus vor dem Verfall schützt – „so gut es eben geht“, wie Schorta sagt. Die Schreiner schieben die schwere Glasplatte zur Seite. Sie ziehen den Holzkasten heraus, der seinen kostbaren Inhalt seit 1891 bewahrt. Die versiegelten Stoffbänder werden zerschnitten, der Kasten geöffnet. Vor den Augen von Bischof Stephan Ackermann, Vertretern des Domkapitels und Regula Schorta. Zwischen ihnen und der Tunika befindet sich jetzt nur noch ein mit Stoff bespannter Holzrahmen. Wird er angehoben, ist der Blick frei. Auf den Rock des Herrn? Nein. „Auf den Gegenstand“, sagt Schorta. So viel Distanz muss sein.