„Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ - Das ist der Titel des neuen Forschungsprojekts, das am Montag vorgestellt wurde. Ein Forschungskonsortium von sieben Professoren soll dazu in den nächsten drei Jahren entscheidendes herausfinden. Ein erstes Projekt dieser Art sollte der Hannoveraner Kriminologe Dr. Christian Pfeiffer vor drei Jahren starten: Er hatte sich aber letztes Jahr im Streit mit der Bischofskonferenz getrennt. Verbunden bin ich jetzt mit dem katholischen Kirchenrechtler Norbert Lüdecke von der Universität Bonn. Herr Lüdecke, dass Pfeiffer die Forschung in den Kirchenarchiven aufgegeben hat, das hing mit bestimmten kirchenrechtlichen Regelungen zusammen. Worum ging es da?"
Prof. Dr. Lüdecke: "Also, es kam mehreres zusammen, dass das Projekt gescheitert ist. Ein Hauptgrund war dafür, dass Pfeiffer zugesichert worden war, dass er alle erreichbaren Quellen bekommt. Er hat das verstanden, in dem Sinne, dass er das, was es tatsächlich gibt, einsehen und bearbeiten kann. Die Bischöfe hatten aber von vornherein gemeint, was „rechtlich“ erreichbar ist. Und da gehört - nun ganz entscheidend – ihr Geheimarchiv nicht dazu!
Das Problem: die entscheidenden Materialien müssen aber im Geheimarchiv sein – nämlich alle Verfahren über Sittlichkeitsdelikte. Alles, was es da vor 2000 gibt, muss dort sein, soweit es nicht zehn Jahre nach einem Urteil oder nach dem Tod des Täters vernichtet worden ist, auftragsgemäß. Nach 2000 ist es auch da nicht mehr, sondern in Rom."
Moderator: "Nun startet dieses neue Projekt sozusagen mit einer neuen Aufgabenstellung: Man will nicht mehr der Länge nach die Archive durchforsten, aus diesen Gründen, die Sie eben geschildert haben, sondern, man setzt auf eine qualitative Untersuchung, also ausführliche Interviews mit Opfern und Tätern. Ist das also der bessere Weg?"
Prof. Dr. Lüdecke: "Also, zunächst einmal: Eine solche „qualitative“ Untersuchung in Bezug auf die Täter, kann, wenn sie gut gemacht ist, eine sinnvolle Ergänzung zu tragfähigen „quantitativen Erhebungen“ sein. So, wie das jetzt aussieht, dass es eine Art „Verlegenheitslösung“ ist, weil man an relevantes Material – weil es vernichtet ist, oder weil es weiterhin nicht rausgegeben ist – gar nicht rankommt, ist es von vorneherein mit einem Makel behaftet.
Man muss das nüchtern sehen: Bischof Ackermann hat in der Pressekonferenz von „Wahrheit aufdecken“ und „Transparenz“ gesprochen. Und da hat er auch gesagt, „die Forscher kriegen alles, was wir haben“. – Das geht aber kirchenrechtlich gar nicht. Hat er jetzt gelogen?
Nein, hat er nicht. Aber man muss sich in Sachen Kirche doch schon ziemlich auskennen, um zu bemerken, dass er das Wort „Archiv“ ja überhaupt nicht in den Mund genommen hat. Er hat nur von Personalakten gesprochen, aus denen ausgesuchte Leute ausgesuchte Stellen den Forschern zur Verfügung stellen."
Moderator: "Sie sagen, da muss man sich schon gut auskennen in der Kirche. Jetzt ist es ja so, die Forscher, die sich jetzt um dieses Forschungsprojekt beworben haben und den Zuschlag bekommen haben, haben bisher eigentlich nicht im Bereich der Kirche geforscht. Wie ist das denn, muss man den Laden kennen, um kirchenspezifische Muster auch von Missbrauch und Vertuschung zu erkennen oder ist es vielleicht anders herum gerade besser, wenn man keinen „Stallgeruch“ mitbringt?"
Prof. Dr. Lüdecke: "Man muss zunächst einmal sagen, da ist schon ein Team von Spitzenforscherinnen und Spitzenforschern auf ihrem Gebiet, ihrem Fachgebiet, zusammengekommen.
Was ich aber in der Tat erstaunlich finde, ist zum einen, dass keiner der beteiligten Forscher dokumentierte Forschungsvorerfahrungen auf dem Gebiet des sexuellen Missbrauchs hat, und was ich noch erstaunlicher finde: erklärtermaßen überhaupt keine Vorerfahrung in Sachen Kirche.
Und da habe ich große Bedenken, denn da bin ich überzeugt, dass man ein System, denn es soll ja auch um Systemvergleich gehen, nicht vergleichen kann, weil man es gar nicht kennt. – Damit habe ich wirklich ein Problem."
Moderator: "Nun hat Bischof Ackermann in der Vorstellung des Projekts gesagt, man wolle über diese Interviews mit Tätern und Opfern eine „vertiefte Einsicht über das Vorgehen der Täter“ erhalten und über das „Verhalten von Kirchenverantwortlichen in den zurückliegenden Jahrzehnten“. – Wer ist denn für die männlichen Kleriker und Ordensangehörigen, wie es im Projekttitel heißt, wer ist denn für die verantwortlich?"
Prof. Dr. Lüdecke: "Das ist nun die wirklich entscheidende Frage, die mir bei der Studie auch mit der Konzentration auf die Täter und Opfer etwas in den Hintergrund rückt, obwohl sie sich auch damit beschäftigen will. Ich erinnere mich an ein Interview mit Erzbischof Marx im Fernsehmagazin „Panorama“. Dort wurde er gefragt, Bischof Ackermann hätte doch von Vertuschung gesprochen und wie man denn mit Vertuschern in den eigenen Bischofsreihen umgehen würde. Erzbischof Marx, damals nur Erzbischof, hat damals nicht geantwortet und ist ausgewichen. Dann hat die Reporterin aber noch einmal nachgehakt und hat gesagt, hat gefragt: „Was hat das denn für Folgen für solch einen Bischof?“ – Und dann war der Erzbischof sichtlich verstört und hat gesagt: „Keine. Ich verstehe die Frage gar nicht.“
Und das ist das Kernproblem. Die Schwierigkeit, überhaupt die Verantwortlichkeit seitens der Hierarchen zu erkennen, geschweige denn, spürbare Konsequenzen dafür zu übernehmen. Und dazu passt nun leider – schon fast entlarvend – die Formulierung von Bischof Ackermann, wenn er davon spricht, dass es auch um Kirchenverantwortliche gehen soll. Entschuldigung – wer sind denn Kirchenverantwortliche?
Es gibt in jedem Bistum nur einen einzigen Hauptorganisationsverantwortlichen: Der ist männlich und Bischof. Der Bischof ist in seinem Bistum einziger Gesetzgeber, Richter und Verwalter: Alles in einer Person.
Er ist verantwortlich für die Priesterausbildung, er entscheidet, wen er weiht. Er ist verantwortlich – und zwar, alleine verantwortlich – dafür, dass die Priester ihre Standespflichten erfüllen und ihren Dienst ordnungsgemäß absolvieren. Er hat die seelsorgerischen Einrichtungen zu kontrollieren und gegebenenfalls zu visitieren und korrigierende Maßnahmen zu ergreifen.
Also, es kann doch nicht sein, dass man „Voll-Macht“ beansprucht, aber bei der Verantwortlichkeit dann großzügig zu teilen bereit ist."
Moderator: Herzlichen Dank an Dr. Lüdecke, Kirchenrechtler der Universität Bonn
(Transkript, ca)