24.12.1973
PFARRER
Wie ein Diktator
Zehn Jahre lang verging sich ein Priester in der Eifel an männlichen Schutzbefohlenen. Die Eltern schwiegen; das bischöfliche Ordinariat, das informiert sein mußte, blieb untätig.
Pastor Franz Engelhardt, 65, katholischer Seelsorger in dem Eifeldorf Ehlenz bei Bitburg, hatte gerade selbstgefertigte Photos nackter Meßdiener hinterm Haus verbrannt, als Polizisten gegen das Hoftor pochten. Das Feuer im Pfarrgarten konnte den Haftbefehl nicht mehr abwenden: Engelhardt mußte mit aufs Revier.
Zehn Jahre lang hatte der Pfarrer -- wie nun in zwölftägiger Verhandlung vor dem Landgericht Trier offenbar wurde -- sich Erstkommunikanten und Schulbuben in der Eifelgemeinde genähert. "Der Engelhardt", klagten Ehlenzer Eltern vor Gericht, "hat uns unsere Kinder versaut."
Staatsanwalt Wilbert Ringel wies dem Geistlichen, der seine Kontakte meist als "göttliche Handlung" gepriesen hatte, mehr als hundert strafbare Fälle nach: Unzucht mit 19 Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen neun und 21 Jahren. Das Gericht verurteilte den schon einschlägig vorbestraften Erzieher zu sieben Jahren Freiheitsentzug.
Engelhardt-Anwalt Christian Schabio aber sprach sein Urteil gegen die Trierer Bistumsbehörde und die Ehlenzer Eltern: "Was da über all die Jahre passiert ist, hätte einer wachen Öffentlichkeit nicht entgehen dürfen," Und in der Tat hebt der Gleichmut. mit dem diese Beklagten den Angeklagten erduldeten, das Geschehen im Eifelland von ähnlichen Vorkommnissen ab.
Mal war der Priester. der sich weder Küster noch Haushälterin hielt, mit einem Meßdiener in die Badewanne gestiegen, mal hatte er Erstkommunikanten nackt aufs Trimm-dich-Fahrrad genötigt, um sie per Polaroid für die Photosammlung seiner Lieblinge abzulichten. Mal küßte er Ministranten in der Sakristei, mal schubste er sie unvorbereitet ins Bett. "Wenn du das weitersagst", drohte er einem verstörten Kind, "dann erschieße ich dich."
Jahrelang mochte in Ehlenz (450 Einwohner, 443 Katholiken) keiner den Mund aufmachen, denn "der Pastor". so erinnert sich Ortsbürgermeister Johann Klassen-Braun, "regierte wie ein Diktator im Dorf" -- Metzgergeselle Erich Rings wagte den Tyrannen aus dem Pfarrhaus nicht zu verraten, "weil es sich hier doch um eine Persönlichkeit handelte". Mitbürger Theodor Paul Göbel. schwieg, "weil man eine geweihte Person nicht anzeigen darf".
Selbst für Bürgermeister Klassen-Braun. der "gegen den Geistlichen schon vor zwei Jahren einen Verdacht gehabt" hatte, blieb die Eifel in Ordnung: "Natürlich haben die Kinder zu Hause erzählt, was der Pastor mit ihnen gemacht hat". (loch. so das Dorf-Oberhaupt: "Wegen der Aussagen eines Kindes. dachten wir, wäre die Polizei nicht gegen einen Pfarrer vorgegangen." Engelhardts Fall wurde erst im letzten Winter von Hauptschullehrer Josef Weber enthüllt. Der Priester hatte sich im Schulhaus darüber beklagt, daß "mehr und mehr Kinder nicht mehr in die Kirche kommen". Weber nahm sich den Nachwuchs vor, und "als ich ein bißchen bohrte. platzten sie alle damit heraus. Jeder wollte die meisten Einzelheiten kennen".
Die Generalbeichte in der Schule jedoch schien keinem so recht willkommen. "Gendarmerie und Landratsamt Bitburg". so der Bürgermeister, "wollten nicht ganz glauben, was die Kinder erzählten." Klassen-Braun "mußte sich erst beim Landrat beschweren. damit endlich Ermittlungen aufgenommen wurden". Und in der Gerichtsverhandlung blieben auch die kirchlichen Behörden von Trier nicht vom Vorwurf der Mitschuld verschont. "Selbst der Bischof", so Engelhardts Anwalt Schabio habe "von der Veranlagung" seines Mandanten "gewußt und ihn trotzdem eingestellt".
Wenn auch Bischof Bernhard Steins Personalchef Hermann-Josef Leininger "bei den Recherchen vor Engelhardts Einstellung etwas Nachteiliges nicht erfahren" haben will -- aktenkundig waren zumindest ähnliche Vergehen Engelhardts aus dem Jahre 1957.
Das Bischöfliche Ordinariat in Wien hatte der Kleruskongregation in Rom 1959 amtlich mitgeteilt, daß "schon in Ungarn und dann wieder in Österreich ein gewisses Delikt vorgekommen ist". Und als Engelhardt -- 1956 aus Ungarn geflohen und 1957 in Linz wegen Unzucht mit drei Jugendlichen zu fünf Monaten Kerker verurteilt -- in der Diözese Freiburg Priester werden wollte, wurde seine Bewerbung wegen der Gefährdung der ihm anzuvertrauenden .lugendlichen abgelehnt.
mi Bistum Trier hingegen gab es dann keine Bedenken. Der damals amtierende Bischof Matthias Wehr schickte ihn ausgerechnet auf die Vakanz in Ehlenz" wo 1960 schon sein Vorgänger wegen gleichartiger Neigungen in einer "Nacht-und-Nebel-Aktion" (Klassen-Braun) abgeholt worden war.
Daß ihm ähnliches drohte. scheint Engelhardt gewußt zu haben. Mehrmals bat er den Trierer Bischof Stein. aus Ehlenz versetzt zu werden -- vergeblich. Daß er vielleicht "ins Gefängnis" müsse" war für ihn "ein Schrecken. der Tag für lag näher kam". In Ehlenz gestand der Pfarrer nun, habe er "mehr gelitten wie in der Hölle",
Die Katholiken des Eifeldorfes, "rückständig und dumm", wie Priester Engelhardt sie vor Gericht beschrieb. kommen mit ihrer Kirche seither nicht mehr recht ins reine. Katholik Johann Göbel, Landwirt in Ehlenz" sagt: "Die größte Schweinerei hat der Bischof gemacht, wenn er gewußt hat. daß der Pastor so'n Kerl war."
Was hat sich seitdem im Bistum Trier verändert?
Es fand eine Sensibilisierung für sexuellen Missbrauch statt, nachdem bekannt wurde, welche Folgen sexueller Missbrauch nach sich ziehen kann. Allerdings geschah diese Sensibilisierung in den letzten Jahrzehnten definitiv nicht von Seiten des Bistums Trier. Prävention stand nämlich für das Bistum Trier nie zur Diskussion. Damit hätte man sich ins eigene Fleisch geschnitten. So oder so.
Es hat sich nichts daran geändert, dass Priester im Bistum Trier weiterhin Kinder sexuell missbrauchen.
Es hat sich nichts daran geändert, dass vorbestrafte Priester weiterhin Messen zelebrieren und Kontakt zu Kindern und Jugendlichen haben.
Es hat sich nichts daran geändert, dass die Verantwortlichen über die Vergangenheit des Priesters informiert werden. Selbst die eigenen Leitlinien werden nicht eingehalten.
Es hat sich nichts daran geändert, dass Personalverantwortliche keine Bedenken haben, vorbestrafte und sexuell auffällig gewordene Priester weiterhin einzusetzen.
Es hat sich nichts daran geändert, dass Gläubige als "dumm" hingestellt werden.