Sonntag, 3. März 2013

Missbrauchsfälle im Vatikan - Tsunami in Rom: "Der öffentliche Druck, vor allem durch die Medien, war sehr wichtig"

Monsignore Scicluna hat zehn Jahre lang im Namen des Vatikan Missbrauchsfälle aufgeklärt. Er spricht zum ersten Mal über Schockwellen und Vertuschung, über den Zölibat und die Kraft der Wahrheit.

Von DANIEL DECKERS

"Schon im April 2001 hatte Papst Johannes Paul II. die Zuständigkeit der Glaubenskongregation um das Delikt „sexueller Missbrauch“ erweitert. Nun brauchte man einen Juristen, der sich ständig mit dieser Materie beschäftigte. Also holte man mich im Januar 2002 auf Probe in die Glaubenskongregation und ließ mich einen speziellen Missbrauchsfall bearbeiten, der dort mehrere Jahre liegengeblieben war, weil man kein Personal hatte."

"Danach trug man mir nach Verhandlungen zwischen Kardinal Pompedda, dem Chef des Obersten Gerichtshofs, und Kardinal Ratzinger, dem Präfekten der Glaubenskongregation, an, das Amt des Kirchenanwalts zu übernehmen."

"Ein Problem war, dass das neue Kirchenrecht von 1983 die Ahndung sexuellen Missbrauchs nicht dem Vatikan vorbehalten hatte. Vielmehr hatte man im Geist des II. Vatikanischen Konzils den einzelnen Bischöfen überlassen, Missbrauchsfälle zu regeln. Es gab auch keine Pflicht, solche Fälle nach Rom zu melden, wohl aber mehrere Instruktionen zum Umgang mit Missbrauchsfällen, die auf dem Kirchenrecht des Jahres 1917 basierten."

"Diese waren nach 1983 aber nicht erneuert oder aktualisiert worden."

"Es brauchte drei Jahre, um einen Entwurf neuer Verfahrensvorschriften fertigzustellen. Johannes Paul II. hat diese Vorschriften dann im April 2001 in Form eines Motu Proprio unter dem Titel „Der Schutz der Heiligkeit der Sakramente“ (Sacramentorum sanctitatis tutela, SST) gutgeheißen."

"Dort waren seit den achtziger Jahren so viele Fälle öffentlich geworden, dass Kardinal Sodano in seiner Eigenschaft als Staatssekretär am 25. April 1994 mit Zustimmung des Papstes die amerikanischen Bischöfe ermächtigte, sich aller Missbrauchsfälle anzunehmen, in denen die Opfer höchstens 18 Jahre alt waren."

"Darüber hinaus wurde erstmals eine Verfahrensvorschrift erlassen, wonach Verfahren gegen Geistliche auf der Ebene des jeweiligen Bistums geführt werden sollten."

"Eine Berichtspflicht des einzelnen Bischofs nach Rom gab es demnach bis zum Jahr 2001 nicht?"

"Nein..."