Mittwoch, 11. Februar 2015

Erzbistum Köln / Erftstadt (3) pensionierter Kölner Oberstaatsanwalt Wolf kommt als "Vertrauensmann" des Pfarrers ins Spiel

Die Anschuldigungen gegen den Erftstädter Pfarrer Winfried J. wiegen schwer. Es geht um „sexuelle Grenzverletzungen“ gegenüber einem neun Jahre alten Mädchen. Ein Vertrauensmann schildert nun J.'s Sicht der Dinge.


Der Erftstädter Pfarrer Winfried J. wehrt sich entschieden gegen die Anschuldigung, in den 70er Jahren gegenüber einem damals etwa neun Jahre alten Mädchen sexuell übergriffig geworden zu sein. Dies sagte sein Vertrauensmann, der pensionierte Kölner Oberstaatsanwalt Rainer Wolf, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.




Kommentar

Wir halten also fest:

Eine mutmaßlich Betroffene erhebt Vorwürfe gegenüber einem Pfarrer. Diese Vorwürfe beziehen sich auf eine Zeit, die 40 Jahre zurückliegt. Strafrechtlich hat der Pfarrer keine Konsequenzen zu befürchten, da der Fall bereits verjährt ist.  Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe würden - rein strafrechtlich gesehen - also nur dann eine Rolle spielen, wenn sich ein/eine weitere Betroffene(r) melden würde und Vorwürfe erheben würde, die aus einem Zeitraum stammen, der nicht so weit zurückliegt und noch nicht verjährt wäre. - Dass darüber die Öffentlichkeit nicht informiert werden müsste (Stichwort: "Opferschutz"), dürfte inzwischen auch in Erftstadt bekannt sein. - Rein theoretisch könnte also der Fall eintreten, dass selbst die Betroffene, die die derzeitig bekannten  Vorwürfe erhoben hat, niemals erfahren wird, ob sich möglicherweise ein oder weitere Betroffene melden und Vorwürfe gegen den Pfarrer erheben bzw. bereits erhoben haben. Zu dieser Auskunft ist das Erzbistum nicht verpflichtet.  Und dies wäre nachweislich nicht zum ersten Mal der Fall! - Im Gegenteil: Betoffene, berichten immer wieder, dass das Bistum nicht angegeben habe, ob man der einzige gewesen ist, der Vorwürfe erhoben hat, oder ob es mehrere gab. Auf der einen Seiten dient dies dem "Opferschutz", auf der anderen Seite ist die Gefahr gegeben, dass ein/e Betroffene/r vielleicht glaubt, er müsse diesen Weg alleine beschreiten, obwohl das Bistum weiß, dass möglicherweise sein Nachbar, sein Schulfreund oder Messdienerfreund ebenfalls Vorwürfe erhoben hat.

 Die derzeit bekannten Vorwürfe gegen den Pfarrer wurden lt. Angaben des Bistums im Sommer letzten Jahres erhoben. Das Bistum hält sich an die "Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker, Ordensangehörige und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich der Deutschen Bischofskonferenzen". Während der Zeit der "Plausibilitätsprüfung" bleibt der Pfarrer weiterhin im Amt. Erst im Januar 2015 - und nach inzwischen erfolgter Rücksprache mit dem Pfarrer - teilt das Bistum dem Pfarrer mit, dass man sich aufgrund der als "plausibel und glaubhaft" eingestuften Vorwürfe für eine vorläufige  Entpflichtung entschieden habe und dass man ihm zwei Wochen Zeit einräumt, seine Wohnung zu verlassen. - Das übliche Prozedere also. 

Als die Gemeindemitglieder von der Entpflichtung ihres Pfarrers und die Gründe für diese Entpflichtung erfahren, reagiert ein Großteil der Gläubigen darüber entsetzt. Der Priester habe "Hals über Kopf"' seine Wohnung verlassen müssen, er dürfe sich nicht mehr in seiner Heimatgemeinde blicken lassen und sich selbst nicht zu den Vorwürfen äußern. Sie äußern ihre Wut gegenüber der mutmaßlichen Betroffenen.  Beispiele für Äußerungen in Form von fb-Kommentaren sind hier nachzulesen.

Es werden nicht nur Kerzen aufgestellt, Unterschriftenlisten verteilt,  Autoschilder und Aufkleber entworfen mit den Worten ("Solidarität für unseren Pfarrer Winfried J.")  und pinkfarbene Armbänder (für den Restbestand dieser Solidaritäts-Armbänder wurde inzwischen übrigens vorgeschlagen, sie als Karneval-Wurfmasse mit einer entsprechenden Info zu verteilen oder sie an Grundschulen zu verteilen!) ,  bestellt und verteilt, sondern es folgt u.a. ein Schweigemarsch, es wird dazu aufgerufen, sich direkt an Rom zu wenden, (so wurde z.B. die Anschrift des Papstes und die Telefonnummer des Vatikans veröffentlicht mit der Bitte, sich direkt an ihn zu wenden und ihn um Hilfe zu bitten) und und und.

Eine bisher nie dagewesene und somit einzigartige Solidarität, die - nein, nicht der mutmaßlich Betroffenen - sondern dem Pfarrer (!) entgegengebracht wird.

Ein gemeinsamer Konsens dieser "Solidaritätswelle" lässt sich allerdings nur schwer erkunden. Tendenziell richten sich die Äußerungen zum einen gegen die  Entscheidung Woelki's, welcher es doch tatsächlich wagt, einen Pfarrer - gemäß den Richtlinien - zu entpflichten, der lt. Angaben des Erzbistums eine "mehrjähriges grenzverletzendes Verhalten" zugegeben hat. 

Zum anderen - wenn also nicht gegen das Bistum gewettert wird -.  sodann erheben sich Stimmen gegen die mutmaßlich Betroffene. Es herrscht Unverständnis und Kopfschütteln. Die Frage, warum die mutmaßlich Betroffene erst 40 Jahre danach ihr Schweigen bricht und welche Vorteile sie sich davon erhofft, scheinen vordergründig eine Rolle zu spielen.  Von einer Theologin kommt der Einwuf, der mutmaßlich Betroffenen ginge es wohl um das Geld.  Aber auch Rache sei nicht auszuschließen. 

Vorausgesetzt natürlich,  man schenkt ihr überhaupt Glauben.

Natürlich gibt es dann noch kritische Stimmen, die die Presse für die derzeitige Situation verantwortlich machen, die Zeitabläufe in Frage stellen und z.B.  den Generalvikar kritisieren. Auffallend ist zudem, dass die Begrifflichkeit "Grenzverletzendes Verhalten" schwer zu definieren scheint. Eine Umarmung seitens des Pfarrers oder ein Streicheln über den Kopf der mutmaßlich Betroffenen stünde schließlich nicht im Verhältnis zu der Vorgehensweise des Bistums. Das "grenzverletzendes Verhalten" anders definiert wird, scheint hierbei keine Rolle zu spielen.

Der Pfarrer hat sich inzwischen in das Ausland zurückgezogen. Er erbittet sich Ruhe und lässt mitteilen, er habe sich einen Anwalt genommen.

Die Gläubigen sind nach den Anstrengungen der letzten Tage ebenfalls erschöpft.  Die Stimmung schien sich etwas beruhigt zu haben. Und jeder hätte die Ereignisse der letzten Tage erst einmal reflektieren und zur Besinnung kommen können.

Am heutigen Abend dann der Paukenschlag: 

Es wird ein Artikel lanciert, in dem scheinbar die Fronten klar gestellt werden sollen: 

Der pensionierte Kölner Oberstaatsanwalt Rainer Wolf, medienerfahren und ein  "Jugendfreund" von Pfarrer J. behauptet nun,  dass bestimmte Übergriffe nicht (!!) stattgefunden hätten. Er redet allerdings nicht nur von grenzüberschreitendem Verhalten, sondern negiert auch eindeutig sexuelle Übergriffe, die gar nicht mehr  durch ein nur "grenzüberschreitendem Verhalten" definiert werden. Wolf bestreitet hingegen "sexuelle Übergriffe"!

Hoppla! 

Offiziell wurde seitens des Bistums bereits ein "mehrjähriges grenzverletzendes Verhalten" eingeräumt. Bestreitet Rainer Wolf diese Vorwürfe? Scheinbar nicht.

Rhetorisch geschickt betont Wolf jedoch, was der Pfarrer nicht einräumt. Und darin besteht ein großer Unterschied!

Klingt es nicht besonders verwerflich, dass Wolf  "Berührungen im Genitalbereich" (!)  der mutmaßlich Betroffenen erwähnt - und im selben Satz darauf hinweist, dass dieser Vorwurf gar nicht von der einen bereits bekannten Zeugin benannt wurde!?  -  Hinzu kommt die traurige Tatsache, dass ausgerechnet Wolf  in aller Öffentlichkeit die intimsten Stellen einer möglichen Betroffenen ins Spiel bringt.   Vielleicht im Sinne des Kirchenrechts keine "Grenzüberschreitung". Dennoch: grenzwertig! 
Sensibilität? - Fehlanzeige! 

Bei einem pensionierten Oberstaatsanwalt ist allerdings davon auszugehen,  dass  er sich dessen, was er sagt und welche Formulierung er wählt, ganz genau bewusst ist.   -  Es bleibt also die Frage: wieso greift  ausgerechnet ein pensionierter Oberstaatsanwalt (!) auf eine solch herabwürdigende Strategie zurück? 

Welche Vorgehensweise ist das? 

Es scheint erneut darum zu gehen, Macht zu demonstrieren. Und die Zeugnin einzuschüchtern.  - Auf eine ganz niederträchtige Art und Weise. 

Fazit: 

Ein scheinbarer Paukenschlag für Pfarrer J..  - Zugleich ein Schlag in das Gesicht der Zeugin und aller Betroffenen.  Mit der flachen Hand.

Es scheint ein vermeintlich geschickter Schachzug des pensionierten Oberstaatsanwaltes gewesen zu sein:  Bei den  -  inzwischen nicht mehr ganz so vielen - Gläubigen, die sich mit ihrem Pfarrer weiterhin "solidarisch" zeigen, trifft der Artikel  auf jeden Fall auf Resonanz. Dort heißt es: "Armer Pfarrer J." oder:  "Dieser Artikel ist doch der beste Beleg dafür, dass das Bistum überreagiert".


PS. Warum der Pfarrer allerdings 12 Jahre (!!!) als Kaplan tätig war und wieso er in der Seelsorge eingesetzt wurde, hinterfragt niemand. Scheinbar auch nicht der "Ex-Ermittler" Wolf.  Ebenso wenig dürfte Wolf auf legalem Wege keine Einsicht in die Personalakte bekommen dürfen.  Die jedoch wichtige Hinweise enthalten könnte - insofern sie natürlich nicht vernichtet wurden. 

ca