"Ermittlungen in der Causa „Dillinger“
Im Zweiten Zwischenbericht hat die Unabhängige Aufarbeitungskommission den Fall des am 27. November 2022 verstorbenen Priesters Edmund Dillinger aufgegriffen und dargelegt, ein eigenes Projekt zur Aufklärung des Sachverhalts und der Zusammenhänge auf den Weg gebracht zu haben. Mit diesem Projekt wurden die ehemaligen Staatsanwälte Dr. Jürgen Brauer und Ingo Hromada beauftragt. Die Aufarbeitung zumindest in Deutschland wurde zwischenzeitlich weitgehend abgeschlossen und am 10. April 2024 ein vorläufiger Abschlussbericht vorgelegt, der am 7. Mai 2024 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
Auf der Grundlage der Ermittlungsakten von drei Staatsanwaltschaften, annähernd 4400 in Augenschein genommener Lichtbilder, die im Nachlass des verstorbenen Priesters gefunden und sichergestellt worden waren, der Aktenbestände des Bistums Trier zu Dillinger, mehr als 50 Interviews mit Zeitzeugen und Betroffenen, zahlreicher schriftlicher Auskünfte von Privatpersonen, Behörden, Schulen, kirchlicher und privater Stellen sowie der von Dillinger veröffentlichten Schriften und weiterer Recherchen konnte dessen Lebensweg und beruflicher Werdegang nachgezeichnet und der von ihm über viele Jahre verübte sexuelle Missbrauch aufgearbeitet werden.
Nach den gewonnenen Erkenntnissen missbrauchte Dillinger in der Zeit von 1961 bis 2018 (einschließlich einer Nachmeldung nach Veröffentlichung des Abschlussberichts) mindestens 20Personen in verschiedenen Schweregraden. Ferner waren sehr viele, nach ihrer Anzahl aber nicht annähernd zu beziffernde Personen von sexuell motiviertem Verhalten Dillingers betroffen, indem sie in sexualisierten Posen fotografiert worden waren, Berührungen in allen Körperregionen ertragen oder Annäherungsversuche abwehren mussten.
Die Recherchen des Projektes förderten zudem zutage, dass die damals Verantwortlichen im Bistum Trier insbesondere 1964 sowie 1970 bis 1976 vollkommen unangemessen auf die ihnen bekannt gewordenen sexuellen Missbrauchstaten reagierten und die nachgewiesenen, zum Teil massiven Vorwürfe vertuschten. Die Leitung der Schule, in der Dillinger von 1979 bis 1999 als Lehrer katholische Religion unterrichtete, ging deutlichen Hinweisen oder „offenen Geheimnissen“ auf zumindest sexuell übergriffiges Verhalten ebenso wenig nach wie Mitwisser in den Pfarreien, in denen er als Seelsorger tätig war oder wohnte. Die gleiche „Kultur des Wegsehens“ herrschte auch in den Vereinen, Verbänden und Verbindungen, in denen Dillinger Mitglied war oder in maßgeblicher Position mitwirkte.
Vor dem Hintergrund der Recherchen ist aus Sicht der Unabhängigen Aufarbeitungskommission kaum zu begreifen, dass eine Person wie Dillinger trotz allen Wissens über seine Übergriffigkeiten und Missbrauchstaten über Jahrzehnte im Dienst der Kirche verbleiben konnte. Die Tatenlosigkeit und das Wegschauen von kirchlichen Verantwortlichen wertet die Unabhängige Aufarbeitungskommission als bewusste Vertuschung, die zuvörderst dem Schutz des guten Namens der Kirche und des Bistums diente und die die Interessen der Opfer gröblich vernachlässigte.
Verfasser: Dr. Jürgen Brauer
Die Autoren der Studie beklagen zu Recht, dass ihre Recherchen durch die Vernichtung wichtiger Beweismittel auf Veranlassung der saarländischen Ermittlungsbehörden massiv behindert und in Teilen vereitelt wurden. In Absprache mit der Aufarbeitungskommission setzen sie daher für ein weiteres Jahr ihre Bemühungen um Aufklärung möglicher Missbrauchsfälle in Afrika und anderen außerdeutschen Orten, aber auch in Deutschland selbst fort. Über die entfalteten Tätigkeiten und Ergebnisse erstellte das Projekt Mitte Oktober einen Zwischenbericht. Darin schildern die Autoren einen weiteren Missbrauchsfall, der sich in den 1960er Jahren in Bitburg ereignet hat und stellen ihre Bemühungen dar, über NGO, die Aufarbeitungskommissionen der anderen (Erz-)Bistümer, die CV-Afrika-Hilfe und namentlich das Auswärtige Amt Ansatzpunkte für erfolgversprechende Recherchen in afrikanischen Staaten zu finden. Ende April 2025 soll ein Abschlussbericht vorgelegt werden."