Montag, 9. Dezember 2024

Bistum Trier: Betroffener des ehemaligen Freisener Pfarrers Otmar M. zeigt sich erleichtert : "Es ist, als ob ein schwerer Last von mir genommen wurde, und ich kann nun versuchen den Frieden zu finden, der mir so lange verwehrt war."

 

Timo Ranzenberger,
Betroffener des ehemaligen Freisener Pfarrers Otmar M. 
Foto: privat

Ich bin nun sehr zufrieden und erleichtert. Die letzte Nacht konnte ich aufgrund dieser frohen Botschaft nicht wirklich schlafen – die Erleichterung war einfach zu groß. Die Meldung bezüglich der Entlassung aus dem Klerikerstand ist für mich ein Geburtstags- und Weihnachtsgeschenk zugleich. Dieses Urteil, das endlich Gewissheit brachte, fühlt sich wie ein wahrer Neubeginn an. Es ist, als ob ein schwerer Last von mir genommen wurde, und ich kann nun versuchen den Frieden finden, der mir so lange verwehrt war.

Endlich hat das Warten ein Ende. Endlich herrscht Gewissheit. Die Gerechtigkeit hat gesiegt. Nach all den Jahren der Ungewissheit und der ständigen Anspannung kann ich nun endlich aufatmen. Das tägliche Googeln nach dem "Freisener Pfarrer" oder "Freisener Ex-Pfarrer" gehört der Vergangenheit an. Die ständige Nervosität, immer auf den Postboten wartend, in der Hoffnung auf Neuigkeiten vom Kirchengericht Köln, Paderborn oder dem Bistum Trier, ist vorbei.

Mit dem Urteil des Kirchengerichts Paderborn ist nun alles klar. Otmar M hat endlich das bekommen, was er sich über Jahre und Jahrzehnten redlich verdient hat. Dieses Gefühl der Erleichterung ist unbeschreiblich. Endlich kann ich meinen Kopf für etwas anderes freimachen, ohne ständig an die katholische Kirche und Otmar M zu denken. Der Teufelskreis ist endlich durchbrochen, und ich kann den Sieg über diese dunklen Kapitel meines Lebens spüren.

Ich freue mich, dass ich diesen Moment jetzt genießen kann. Er ist für mich ein Symbol der endgültigen Befreiung und des Sieges über das, was mich so lange belastet hat. ☺️☺️☺️☺️




Die erste Begegnung mit Otmar M. 

Im Jahr 1993 begegnete ich Otmar M. zum ersten Mal in der Sakristei in Gehweiler. Er war relativ jung, sympathisch und wirkte anders als viele andere Geistliche. Er hatte eine lockere Art und schien ein Mensch zu sein, dem man vertrauen konnte. Für mich wurde er schnell zu meinem Lieblingspfarrer.

Doch 1999 änderte sich alles. Er lud mich zu sich ins Pfarrhaus ein, was zunächst wie eine freundliche Geste wirkte. Doch was darauf folgte, war eine erschütternde Erfahrung, die mich für lange Zeit prägte. Ich war damals erst 15 Jahre alt und ergriff die Entscheidung, niemandem davon zu erzählen. Die Angst, ausgelacht zu werden oder nicht ernst genommen zu werden, war zu groß. Ein solcher Vorfall mit einem angesehenen Pfarrer schien mir unvorstellbar, und die Vorstellung, dass mir jemand glauben könnte, erschien mir sehr fern.

2005 kam alles wieder hoch

Im Jahr 2005 kamen diese verdrängten Erinnerungen wieder hoch, als ich unabsichtlich den Fernseher auf ZDF an einem Sonntag Ende Mai einschaltete und da plötzlich ein Gottesdienst lief.

Plötzlich hatte ich alles von damals vor Augen.

Die Zeit in der streng katholischen Pflegefamilie und ebenfalls die Übernachtungen bei Otmar M im Pfarrhaus.

Ich konnte nicht mehr wegsehen und begann, mich zu fragen: Warum hatte er das getan? Warum hatte er mich ausgesucht? Warum hatte ich das erleben müssen? Und vor allem, machte er das auch weiterhin mit anderen? Diese Fragen beschäftigten mich immer wieder, und ich begann, mich mit den Details dieser Zeit auseinanderzusetzen.

Hilfesuchen bei Beratungsstellen

In den Jahren 2005 und 2006 suchte ich Hilfe – anonym. Ich rief bei Beratungsstellen an, darunter auch bei Schotterblume e.V. . Dort fand ich Menschen, die mich verstanden und die mich ermutigten, den nächsten Schritt zu gehen. Die Telefonkette war ein wahrer Segen für mich.

Niemand lachte mich aus, niemand zweifelte an mir. Es war das erste Mal, dass ich mich mit meinen Gefühlen nicht allein fühlte.

Doch der Gedanke, zur Polizei zu gehen, machte mir Angst. Ich stellte mir vor, nicht ernst genommen zu werden. Was, wenn ich dort vor Wut oder Verzweiflung ausfällig werde? „Danke fürs Zuhören, du Drecksbulle“, oder Ähnliches – das wären Worte gewesen, die ich nicht kontrollieren konnte. Ich hatte Angst, dass die Situation eskaliert und ich selbst am Ende als Täter dastehe.

Auf Entzug

Zu dieser Zeit musste ich lernen, ohne die Betäubung von Alkohol zu leben. Der Schmerz und die Erinnerungen ließen sich nicht einfach abschalten. Es gab keine Ausflucht mehr, und ich musste mich den intensiven Gefühlen stellen, die mich so lange begleitet hatten. Das war eine schwierige und schmerzhafte Zeit für mich.

Anonyme Kontaktaufnahme zum LKA Saarland

2006 nahm ich schließlich anonym Kontakt zur Pressestelle des LKA für das Saarland auf. Die Ermittlungen der Polizei führten schließlich zu mir als Anrufer. Ich hatte 17 Seiten geschrieben, auf denen ich ausführlich schilderte, was er mir angetan hatte. Die Polizei vernahm Otmar M., und er gab vieles zu, was er mit mir gemacht hatte. Doch aufgrund der Verjährung wurde das Verfahren eingestellt.

Das war ein harter Schlag für mich. Ich musste zehn Jahre warten, ohne dass es eine wirkliche Aufklärung oder Konsequenz gab. Doch 2013 wurde Otmar M. fernab der Öffentlichkeit erneut angezeigt, und 2016 platzte schließlich die Bombe. In diesem Jahr erfuhr die Presse von der Sache, und das Bistum Trier handelte plötzlich sehr hektisch.

Bistum Trier wurde bereits 2006 von der Staatsanwaltschaft Saarbrücken über Vorwürfe gegen Otmar M. informiert - unternahm aber nichts

Es stellte sich heraus, dass das Bistum Trier bereits 2006 von der Staatsanwaltschaft Saarbrücken über die Vorwürfe gegen Otmar M. informiert wurde. Trotz der geltenden Leitlinien der deutschen Bischofskonferenz von 2002, die das Handeln in solchen Fällen vorschrieben, unternahm das Bistum damals jedoch nichts, um Otmar M. aus dem Verkehr zu ziehen. Noch gravierender war, dass der Polizeibeamte, der Otmar M. 2006 vernommen hatte, sich unabhängig von der Staatsanwaltschaft ebenfalls an das Bistum Trier wandte. Dennoch wurde auch hier nicht gehandelt, und Otmar M. konnte bis 2015 in Amt und Würden bleiben.

Kardinal Marx, "Missbrauchsbeautragter" Bischof Ackermann und der heutige Bischof Bätzing

Dies brachte das Bistum Trier in eine schwierige Lage, da gleich drei Bischöfe involviert waren: Kardinal Marx, Bischof Ackermann und der spätere Bischof Bätzing.

Das Bistum reagierte mit öffentlichen Worten des Bedauerns und einem „schmerzlichen Lernprozess“, der für mich irgendwann zu einem schmerzhaften „Ohrwurm“ wurde, den ich nie vergessen konnte.

2016 wurde dann alles öffentlich. Auch meine Anzeige aus dem Jahr 2006 wurde bekannt, und sein Teilgeständnis von damals kam ans Licht. Es war ein Moment, den ich lange nicht erwartet hatte, aber er brachte eine gewisse Erleichterung. Die Sache war nicht mehr nur in meinem Kopf, sondern fand endlich den Weg in die Öffentlichkeit.

2018 wurde schließlich ein kirchliches Strafverfahren gegen Otmar M. eröffnet.

Seit Mai 2016 hatte ich jeden einzelnen Tag gegoogelt: „Freisener Ex-Pfarrer“, „Freisener Pfarrer“. Es ließ mir keine Ruhe, ständig kam etwas Neues hinzu. Die Zahl der „mutmaßlichen Opfer“ stieg in dieser Zeit auf sage und schreibe zehn. Endlich fanden auch andere Menschen den Mut, diesen Herrn bei der Polizei anzuzeigen. Endlich!

Weitere Betroffener war inzwischen selbst zum Priester geworden

2019 kam ein Richter des Kirchengerichts Köln zu mir nach Hause, und es folgte eine Vernehmung. Ein weiterer Betroffener von Otmar M. wurde ebenfalls vernommen, und hier platzte es aus ihm heraus. Dieser Mensch war mittlerweile selbst Priester geworden und hatte in der Vergangenheit seine eigenen Erfahrungen mit Otmar M. machen müssen. Dies führte letztendlich zu einem weltlichen Strafverfahren gegen Otmar M.

Prozess vor Landegericht Saarbrücken 

2023 fand der Prozess vor dem Landgericht Saarbrücken statt, bei dem Otmar M. wegen sexueller Nötigung eines 14 Jahre alten Jugendlichen aus dem Jahr 1997 angeklagt wurde. Auch meine Anzeige aus 2006 war Gegenstand des Verfahrens, und ich wurde als Zeuge vorgeladen. Es folgte die Verurteilung wegen sexueller Nötigung, was für mich ein sehr wichtiger Schritt war.

Das Urteil selbst war zwar mild – eine Haftstrafe von 1,5 Jahren, ausgesetzt auf vier Jahre Bewährung, sowie eine Geldstrafe von 2500 Euro zugunsten eines gemeinnützigen Vereins für missbrauchte Mädchen – doch darüber habe ich mich persönlich nicht geärgert. Wichtig war, dass er verurteilt wurde und nicht freigesprochen. Besonders ermutigend war, dass der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung die Glaubwürdigkeit der einzelnen Zeugen, darunter auch meine, hervorhob. Diese Anerkennung war für mich wie Balsam für die Seele, nachdem im Milieu des Freisener Ex-Pfarrers Otmar M. immer wieder behauptet wurde, all die Anzeigeerstatter wären Lügner. Ein weltliches Gericht sah dies jedoch anders.

Pfarrer Otmar M. geht in Revision und legt Berufung ein - vergeblich

Nach der Revision beim Bundesgerichtshof folgte die nächste Niederlage für Otmar M. Die Revision wurde nicht zugelassen, und er ist nun ein weltlich rechtskräftig verurteilter Sexualstraftäter.

Kurze Zeit später folgte auch das Kirchengericht Köln. Auch hier ließ Otmar M. dies nicht auf sich sitzen und versuchte, gegen das kirchliche Urteil in Rom Berufung einzulegen. Doch auch hier erlebte er eine weitere Niederlage.

Otmar M. wurde nun auch vom Kirchengericht Paderborn schuldig gesprochen, und die Entlassung aus dem Klerikerstand ist nun rechtskräftig und endgültig.

Ein wahrer Segen und ein Sieg für alle Betroffenen.

18 Jahre sind nun seit dem Jahr 2006 vergangen. Wenn man mir 2005 erzählt hätte, was ab 2016 rund um die Person von Otmar M. geschehen würde, hätte ich denjenigen wahrscheinlich ausgelacht. Doch heute kann ich sagen: Es gab Gerechtigkeit. Und das ist, was für mich zählt.

Timo Ranzenberger