Donnerstag, 14. November 2019

Bistum Trier: "Opfer zweiter Klasse": Bischof Ackermann erkennt Leid ab

Zeichnung des Opfers, welches einen Teil der Tathergänge veranschaulicht.

Eine Kommission bei der "Zentralen Koordinierungsstelle" in Bonn sichtet
und berät über den Antrag der Anerkennung. Anschließend teilt sie ihre Empfehlung dem zuständigen Bischof mit, der die Empfehlung annehmen oder ablehnen kann.
Letztendlich entscheidet also der Bischof  nach eigenem Ermessen darüber, 
ob er das Leid anerkennt oder ablehnt. 


Ein ganz ganz bitterer Beigeschmack bei den Aussagen als auch bei der Vorgehensweise des Missbrauchsbeauftragten, Bischof Ackermann,  kommt in diesen Tagen hoch, wenn man bedenkt, dass der Freiburger Bischof Burger als erste deutscher Bischof plant, ab kommenden Januar regelmäßige monatliche Hilfeleistungen bis zu einer Höhe von 800,00 Euro an Betroffene zu zahlen,  die wegen Missbrauchs bedürftig wurden und nicht mehr für ihren eigenen Lebensunterhalt aufkommen können.

Zudem hat Erzbischof Stephan Burger eine einheitliche Regelung gefordert - und dies offensichtlich aus gutem Grund:  "Wir brauchen allgemeingültige Kriterien als Richtschnur, denn es kann nicht sein, dass die Höhe der Hilfszahlungen im Gutdünken einiger weniger Personen liegt oder von der finanzielle Lage des einzelnen Bistums abhängt", sagte Burger.

Genau das, vor dem Bischof Burger warnte und was der Freiburger Bischof unbedingt vermeiden wollte, ist im Bistum Trier eingetreten: 

Ein Opfer aus dem Bistum Trier, welches aufgrund der Folgen des an ihm begangenen schweren Missbrauchs in der jüngsten Kindheit innerhalb der letzten Jahre in die Bedürftigkeit geraten ist und nicht mehr für seinen eigenen Lebensunterhalt aufkommen kann, wendet sich hilfesuchend an das Bistum Trier. Gestern erhielt das Opfer vom Bistum Trier einen ablehnenden Bescheid. 

Das Bistum Trier gesteht dem Opfer noch nicht einmal als Übergangslösung einen Betrag in Höhe von monatlich 200,00-450,00 Euro zu, obwohl das Opfer bereits 2011 als Härtefall eingestuft wurde.  Begründung: An den Tathergängen habe sich ja nichts wesentliches verändert. Nein, eine Freiheitsberaubung hier, ein Würgen mit beiden Händen da, scheint ja auch nichts wesentliches zu sein, geschweige denn, Folgen im weiteren Leben nach sich ziehen zu können.  Die an dem Kindergartenkind mehrfach durchgeführten Vergewaltigungen durch den katholischen Priester scheinen das Wesentliche gewesen zu sein - und dabei soll es auch bitte bleiben. Denn genau danach scheint sich auch die Höhe der "Anerkennung des Leids" zu richten. 

Auf schwerwiegende Traumafolgeschäden hinzuweisen und zu erläutern, welche Auswirkungen diese auf den Alltag haben und beschreiben, zu welchen Dingen das Opfer überhaupt noch fähig ist, scheint  in keinster Weise mit in die Entscheidung einzufließen.  Es wird sich lediglich auf die Tathergänge konzentriert.  Die Folgen werden von Bischof Ackermann außer Acht gelassen. Was soll sich zwischen 2011 und 2019 schließlich auch an den Folgen geändert haben?! -  Klartext: Wir reden über schwerwiegende Folgen, welche im Jahr 2011 noch gar nicht abzusehen waren. Wir reden über Diagnosen, Symptome und Auswirkungen,  die auf den frühkindlichen Missbrauch zurückzuführen sind und die vom Bistum Trier, respektive Bischof Ackermann, bis heute nicht anerkannt werden bzw. ignoriert werden - während das Opfer um das tägliche Überleben kämpft. Nicht nur psychisch, sondern auch finanziell.  

Hier also überhaupt von einer "Anerkennung des Leids" zu sprechen, welches sich nicht auf die Taten von damals bezieht,  sondern welches das Leben nach dem Missbrauch beinhaltet, in welchem das Leid noch größer wurde,  ist an Heuchelei und Scheinheiligkeit kaum zu überbieten. "Das Leid", welches viele Betroffene tagtäglich  über- und durchleben müssen, kann nicht anerkannt werden, so lange es nicht gesehen und erkannt wird. Bischof Ackermann ist dies offensichtlich bis heute nicht gelungen. - Auch nach fast zehn Jahren nicht. 

Paradox erscheint in diesem Zusammenhang auch,  dass Bischof Ackermann, ausgerechnet in seiner Funktion als Bischof und als Missbrauchsbeauftragter,  mit Aussagen vorprescht, die weiter von der Realität nicht entfernt sein könnten. Wie abstrus muss es sich für das Opfer anhören, dass Ackermann öffentlich über eine Finanzierung von sechsstelligen Beträgen bis hin zu einer zehnstelligen Summe fabuliert, und gleichzeitig dem hilfsbedürftigen Opfer, welches das Bistum um eine recht geringe monatliche finanzielle Überbrückung bat, das Leid aberkennt? 

Was übrigens Ackermanns versprochene "Aufklärung" in diesem Fall betrifft: Das Bistum gibt an, in den vergangenen Jahren lediglich herausgefunden zu haben, dass es "Hinweis auf weiteren Missbrauch durch diesen Priester" gab.  Mit Antworten auf detaillierte Nachfragen hält sich das Bistum Trier zurück. Auch auf die Frage, warum in der Täterakte ab dem Tatzeitpunkt sieben Seiten fehlen, erhielt das Opfer nur eine ausweichende Antwort.   In diesem Fall ist sowohl die versprochene "Aufklärung" gescheitert als auch die "Anerkennung des Leids". Der damalige Pfarrer, dem sich das Opfer bereits 2003 anvertraute, informierte bereits  damals - entgegen den Leitlinien - das Bistum Trier nicht darüber. Und der aktuelle Pfarrer lehnt sowohl eine persönliche als auch eine öffentliche Kommunikation über das Geschehen ab. 

Vielleicht ergibt es aus heutiger Sicht dann auch einen Sinn, warum ausgerechnet Bischof Ackermann sich seinerzeit für eine Dezentralisierung der Bistümer in der Entschädigungsfrage aussprach: Schließlich kann Ackermann dadurch einen großen Spielraum in seinem eigenen Bistum schaffen. -  Es ist Ackermann ebenso zuzutrauen, dass es ihm gelingen könnte, sich komplett aus der Verantwortung zu ziehen. Es wäre schließlich nicht das erste Mal der Fall.  Worte und Taten lagen bei Ackermann bisher sowohl oft genug als auch weit genug auseinander, als dass man ihm noch Vertrauen schenken könnte. 

Wenn  Ackermann zudem noch behauptet "Wir kriegen auf jeden Fall wieder Prügel – egal was wir entscheiden, frage ich mich, mit welcher Motivation er sich überhaupt noch in die Diskussion auf eine möglichst gerechte Anerkennung des Leids einlassen will und  ob er mit dem verallgemeinertem "wir" nicht  - wie so oft - wieder von sich selbst ablenken möchte. 

Bistum Trier, St. Martin. 2019. "Im Namen des Herrn". 

Claudia Adams


(Groteskerweise wurde der ablehnende Bescheid übrigens ausgerechnet am Feiertag des Heiligen St. Martins verfasst, welcher  der Legende nach an einem kalten Wintertag an einem hungernden und frierenden Bettler vorbei ritt. Der Mann tat ihm so leid, dass Martin mit dem Schwert seinen warmen Mantel teilte und dem Bettler eine Hälfte schenkte....)