Notizen für die Ewigkeit:
Missbrauch - Mehr Fragen als Antworten
Vom offenen Umgang mit sexueller Gewalt sind beide Kirchen noch weit entfernt
Die Meldung, die in der vergangenen Woche in vielen Tageszeitungen erschien, war kurz und bündig. „Die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) haben Vereinbarungen mit der Bundesregierung für einen verbesserten Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Missbrauch unterzeichnet“, heißt es dort in klarem Agenturdeutsch. Kernpunkt der Vereinbarung sei die Übereinkunft, fachliche Mindeststandards zur Prävention und Intervention bei sexualisierter Gewalt in Kirchen und kirchlichen Organisationen einzuführen.
Noch Fragen? Lieber nicht. Denn wer sich den Wortlaut der Vereinbarung durchliest, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Forderungen der Opfer hinter einem Wust von Leitlinien, Empfehlungen und „Präventionsanstrengungen“ zu verschwinden drohen. Was haben die Betroffenen von der Entwicklung einheitlicher Qualitätsstandards, von Forschungsprojekten, Fachtagungen und Online-Umfragen? So löblich es auch ist, dass sich Verantwortungsträger aus Politik, Kirche und Gesellschaft auf Schutzmaßnahmen im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch einigen: Sie könnten viel mehr tun, als eine „Vereinbarung zur Umsetzung der Empfehlungen des Runden Tisches Sexueller Kindesmissbrauch“ zu unterzeichnen.
Beide großen Kirchen beschränkten sich darauf, die Unterzeichnung der Vereinbarung per Pressemitteilung bekannt zu geben. Einer Pressekonferenz mit Nachfragen von Journalisten schienen sie sich nicht stellen zu wollen. Dabei gäbe es so viele unbeantwortete Fragen: Woher zum Beispiel kommt das Geld für die Fortbildungen rund um das Thema sexualisierte Gewalt für die Tausende von Ehrenamtlichen in den Bistümern und Landeskirchen? Warum ist der Gesetzesentwurf über die Verlängerung der Verjährungsfristen immer noch nicht vom Parlament verabschiedet worden? Warum ist das Thema sexueller Missbrauch ein „hochsensibler Bereich“ und ein „vermintes Gelände“, wie es in Kirchenkreisen heißt, wenn sich doch anscheinend alle einig sind, dass der Schutz von Kindern und Jugendlichen verbessert werden muss?