Im Herbst stellten die Bischöfe in Fulda ein milliardenschweres Entschädigungsmodell für Missbrauchsopfer vor. Jetzt stellt sich heraus: In allen wesentlichen Punkten rudert die Kirche zurück. Was ist da schiefgelaufen?
Je länger Ackermann in Fulda spricht, desto mehr überwindet er sichtlich seine Scheu vor der freien Rede. Bis ihm ein Satz herausrutscht, an dem er sich fortan messen lassen muss. "Die Bischöfe haben den Auftrag gegeben, auf der Grundlage dieses Modells die Weiterentwicklung unseres Anerkennungssystems zu bearbeiten." Das könne er als Ergebnis jetzt schon mitteilen.
Nach der Herbstvollversammlung sitzen die Bischöfe erst wieder am 27. und 28. Januar beim Ständigen Rat der Bischofskonferenz in Würzburg-Himmelspforten zusammen. Auf der Tagesordnung steht auch die Reform des bisherigen Systems der Anerkennungsleistungen. Was die Bischöfe in Würzburg beschließen, soll eine von Ackermann geleitete Arbeitsgruppe bis zur Frühjahrsvollversammlung Anfang März in Mainz weiter ausarbeiten. Erst dann wird final abgestimmt. Gleichwohl nehmen die Bischöfe in Würzburg eine Weichenstellung vor:
Weil alle verantwortlich sind, lautet eine Weichenstellung von Würzburg, sollen alle zahlen: Zuerst die Täter, dann die Bistümer mit ihren Vermögenswerten, und wenn das nicht reicht, auch die Kirchensteuerzahler.
Schnell steht fest: Entschädigungen oder Schmerzensgeld soll es auch weiterhin nicht geben. Demnach bleibt es also bei Anerkennungsleistungen. Dass diese momentan angesichts des erlittenen Leids mit rund 6000 Euro pro Fall skandalös niedrig sind, ist den meisten Anwesenden bewusst. Anders als im Arbeitspapier empfohlen, soll es auch keinen Entschädigungsfonds geben.
Kehren wir zurück nach Fulda. Während der Pressekonferenz spricht Ackermann viel von einer Richtungsentscheidung und suggeriert so fälschlicherweise: Im Grunde sei die Entscheidung pro Entschädigung bereits gefallen. Dabei verschweigt er, dass sein Arbeitspapier von vielen nicht mitgetragen wird, die es später in der Praxis umsetzen sollen. So etwa das Fazit eines Briefs der Generalsekretärin der Deutschen Ordensobernkonferenz an Ackermann vom 16. September 2019. Die Deutsche Ordensobernkonferenz könne die Empfehlungen des Arbeitspapiers für die Ordensgemeinschaften demnach nicht befürworten, weil es "keine realistischen Möglichkeiten der Akzeptanz oder der Umsetzung" gebe. Zudem seien die kolportierten Summen für die Orden schlicht nicht leistbar.
Hat Ackermann den Opfern falsche Hoffnungen gemacht? Ist das Missbrauchsthema ihnen in Wahrheit gar nicht so wichtig? Spekulieren sie darauf, dass nach den Versöhnungsbildern später keiner mehr fragt, was aus der "Weiterentwicklung" geworden ist? Nehmen sie in Kauf, dass Ackermann, der bei seinen Mitbrüdern kein hohes Ansehen genießen soll, sich blamiert? Hoffen manche sogar darauf? Und was ist mit Ackermann: Hat er eine Strategie oder hat er sich schlicht verquatscht?