Freitag, 12. Juli 2019

Bistum Trier: Bischof Ackermann und die "kleine Plausibilitätsprüfung" - ein Kommentar



Die von Bischof Ackermann in völlig verharmlosender und verniedlichenden Form beschriebene "kleine Plausibilitätsprüfung"  beschreibt der Trierer Thomas Kiessling am gestrigen Abend mit eigenen Worten wie folgt: "Warum Männer wie er sich selbst bei Anträgen auf Anerkennungszahlungen stundenlang intimsten Fragen stellen müssten, die die furchtbaren Erinnerungen an die Untaten wieder erweckten". - Man brauche Kriterien für die Zahlungen, aber heutzutage müsse niemand Dinge sagen, die er - oder sie - nicht sagen wollte  (!)  antworteten die Mitarbeiter Ackermanns. Der Bischof selbst gab zu: "Wir haben seit 2010 dazu gelernt." 

Die Frage, was genau Bischof Ackermann seit 2010 dazu gelernt habe, ist meiner Meinung nach mehr als berechtigt. Wenn ich den vor mir liegenden schriftlichen " Antrag auf Leistungen in Anerkennung des Leids, das Opfern sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde" aus dem Jahr 2011 mit dem Antrag von 2019 vergleiche,  finde ich keine Abänderung im Wortlaut.

Ich sehe auch keine Änderung in der Befragungsmethode zwischen einem "Protokollgespräch"  welches 2011 stattfand und einem "Protokollgespräch"  , welches 2019 stattfand.  Was hat sich an der Methodik und der Vorgehensweise seit 2011 hier geändert? Schließlich sind genau dies die Angaben,  mit denen das Bistum eine sogenannte "Plausibilitätsprüfung" vornimmt. Tathergänge sollen schließlich genau weiterhin so detailliert wie möglich beschrieben werden -  und wenn der Täter mehrmals übergriffig wurde und über einen längeren Zeitraum hinweg, dann bitte nacheinander, einzeln und - möglichst detailgetreu, wie und auf welche Weise. Und nicht nur die sexuellen Handlungen, sondern auch die Gewaltanwendungen. -

Und wenn irgendwie möglich, dann noch etwas genauer

Beispiele von Fragestellungen, die bei Fachleuten eine große Sprachlosigkeit hinterlassen,  liegen mir zwar vor,  dürfen aber an dieser Stelle nicht veröffentlicht werden. Warum? - Weil es von dem Betroffenen zu unterschreiben gilt, dass der Inhalt des Gespräches streng vertraulich ist. (Lediglich die zum Mitarbeiter-Stab des Bischofs gehörenden Personen haben Zugang.) - Auf  oftmals in leichtsinniger Weise anmutende Nachfragen, die weder von ausgebildeten Traumatherapeuten oder ähnlichen Fachleuten durchgeführt werden, soll also so detailliert wie möglich geantwortet werden.  Hinzu kommt, das auch die Folgeerkrankungen, welche im Zusammenhang mit den sexuellen Übergriffen von damals stehen, beschrieben werden sollen. Auch hier kann es sein, dass man mit nahezu unerträglichen Fragen konfrontiert wird, die einen Betroffenen emotional aus der Vergangenheit in die Gegenwart katapultieren und anschließend wieder zurück.  Ob das, was man verzweifelt versucht, zu kommunizieren,  auch ebenso so wahrgenommen wird, bleibt fraglich.  Wenn es harmlos verläuft.  - Denn eine solche Befragung kann zum Beispiel auch einen kompletten Identitätswechsel auslösen. Informationen zu dem Erlebten sind plötzlich nicht mehr abrufbar, weil sie abgespalten wurden. Hilflosigkeit. Schutzlosigkeit. Todesangst, Drohungen,  Ohnmacht und Angst sind präsent. Keiner der Abwehrmechanismen und Verarbeitungsstrategien war ausreichend, um das Geschehene auch nur ansatzweise integrieren zu können. Man-made-disaster. Es ist also gut möglich, eher noch wahrscheinlich,  dass solch ein dissoziativer Schutzmechanismus - der einem Art psychischem "Notfallprogramm" ähnelt - während einem solchen Protokollgespräch  auftritt, ausgelöst durch Erinnerungen, Gefühle und Gedanken - und Fragestellungen. Eine solch hochkomplexe psychische Situation während des Gesprächs einzuschätzen und darauf zu reagieren, dafür sind Ansprechpartner des Bistums nicht ausgebildet.  "Heutzutage müsse niemand Dinge sagen, die er - oder sie - nicht sagen wollte  antworteten die Mitarbeiter Ackermanns." - Diese Aussage klingt wie ein Hohn. Wenn ein Betroffener nichts sagen kann, welche Kritierien sollen dann greifen? Er  wird also  versuchen, das Geschehene "auf eigene Gefahr" abzurufen, wird - je nach Erfolg oder Misserfolg bisheriger Therapien -  erneut durch die Hölle gehen, das Geschehene in Echtzeit erleben um möglichst viele  Informationen abrufen zu können, die das Bistum wünscht.  Ich weiß nicht, wie viele  Betroffene auch heute noch schweigen, weil sie gar nicht darüber reden können, was ihnen widerfahren ist, oder weil sie Angst vor genau dieser ungeschützten Situation haben, mit der sie konfrontiert werden. Für mich gehören genau diejenigen dazu, die die schwersten Trauma erlitten haben und ihr Schweigen bisher nicht brechen konnten.

Die Plausibilitätsprüfung des Bistums Trier mit dem Attribut "klein" zu versehen, macht sprachlos

Fakt ist:   Ob für 1.000,00 Euro oder 100.000,00 Euro Anerkennung: Die beschriebenen Tathergänge bleiben dieselben. Das Geschehene ist ein unabänderlicher und unauslöschlicher Teil unserer Vergangenheit. Was sich aber ändern kann, sie die  Symptome der Folgeerkrankungen, die auf die sexuellen Übergriffe zurückzuführen sind. 2011 ging es manchen von uns Betroffenen noch wesentlich besser als 2019.  Wie vielen von uns wurden erst Jahre bis Jahrzehnte später bewusst, was damals geschah. Und das ist normal!  

Der Umgang von Bischof Ackermann mit Betroffenen trägt seinen Teil dazu bei. Auch diese Umstände, die Flexibilität erfordern,  sollten unbedingt berücksichtigt werden. -  Die Retraumatisierung, von der etliche Opfer im Bistum Trier betroffen sind, ist  m.E.  sowohl auf die Methodik und Vorgehensweise  während dieser "kleinen Plausbilitätsprüfung" zurückzuführen, die ich als absolut unausgereift  und fragwürdig erachte,  als auch auf den Umgang mit uns Betroffenen während der letzten neun Jahre. 

Wie kann Bischof Ackermann also sagen, er habe diesbezüglich dazu gelernt? Wie glaubhaft ist seine Aussage, wenn sich seit 2011 nichts bei dieser Methode, auf deren Unerträglichkeit und auslösendes Leid Betroffene ihn seit Jahren hinweisen, geändert hat?  Wie man die Worte Ackermanns deuten soll, wenn er sagt: " Sollte es aber künftig um sechsstellige Summen gehen, wird es das nicht mehr geben!" , bleibt jedem Betroffenen selbst überlassen. Ob man dies als Einschüchterungsversuch, als Drohgebärde eines brüllenden Löwen oder als Ackermanns generellen Umgangston sieht: die Botschaft, die sich hinter diesen Worten versteckt, bleibt offen. Wie viele andere Fragen auch. 

Ich frage mich im Übrigen auch,, wie eine "große Plausbilitätsprüfung" verlaufen soll, da eine "kleine Plausibilitätsprüfung" ja offensichtlich bei höheren Anerkennungszahlungen nicht mehr ausreicht. Viel demütigender und erniedrigender können die Fragen, Vorgehensweisen und Entscheidungen, mit denen Betroffenen in den letzten acht Jahren seitens des Bistums konfrontiert wurden, ja kaum noch werden. Ganz zu schweigen von den sowohl moralisch als auch gesetzlich  grenzwertigen Ideen und Methoden, die manch mutmaßlicher Täter "privat" umsetzte, um die Glaubwürdigkeit von Betroffenen in Frage zu stellen. 

Vielleicht sollten auch zudem einmal die Betroffenen zu Wort kommen dürfen, deren Prüfung als "nicht plausibel" eingestuft und denen nicht geglaubt wurde. Mit welchen Begründungen sie und ihre Glaubwürdigkeit abgelehnt wurden. - Nicht ohne Grund.

Ja, es ist allerhöchste Zeit für eine eigene und vor allem "unabhängige" Kommission im Bistum Trier, die installiert werden muss, um auch das, was seit 2010 geschah und die Vorgehensweise des Bistums Trier zu dokumentieren und offenzulegen - auch, was den Umgang mit uns Betroffenen betrifft. Eine unabhängige Kommission, der wir Betroffenen Vertrauen schenken können und denen wir Betroffene die Erfahrungen schildern können, die wir seit 2010 mit dem Bistum Trier machen mussten. Die auch die Korrespondenzen zwischen Betroffenen mit dem Bistum sichtet. Und sich dazu äußert.  Wenn endlich von einer unabhängigen Kommission belegt werden kann, wie das Bistum mit Hinweisen auf mutmaßliche Täter umging;  wenn endlich belegt werden kann, welche dubiosen und zweifelhaften Methoden das Bistum Trier gegenüber Betroffenen anwandte.   Und erst wenn dazu ein Bericht veröffentlicht wird, können wir Betroffene hoffen, dass sich  etwas ändert.  -  So musste ja auch erst die MHG-Studie veröffentlichen, was die Kirche verschwieg. 

Übrigens:  "Man brauche Kriterien für die Zahlungen (...) antworteten die Mitarbeiter Ackermanns."   
Dazu kann ich nur sagen, dass ich selbst vor ein paar Tagen Mitarbeitern des Bistums Trier, die m.E. nach über genau diese Kriterien informiert sein sollten und diese in Betracht ziehen sollten, ebendiese Kriterien zusandte und sie in Erinnerung rief. Warum? - Weil sie über diese nicht informiert waren. Bitte. Gerne.

Und absolut unabhängig davon, ob es sich um eine "kleine" oder "große Plausibilitätsprüfung" handelt: Wenn ausgerechnet der Missbrauchsbeauftragte der DBK, der Trierer Bischof Ackermann, dieses Verfahren als "klein" bezeichnet, frage ich mich, warum er keine 24 Stunden später, nachdem er die Aussage eines Münsteraner Klerikers als "unsäglich" und "unerträglich" bezeichnet und eine "klare Reaktion" einfordert, nicht selbst auf seine ebenfalls teils unsäglichen und unerträglichen Worte gegenüber Betroffenen achtet. 

Es gibt noch viel zu tun für Sie, Herr Bischof. Noch sehr sehr viel. 

Claudia Adams