Bischof Stephan Ackermann befindet sich erneut in einer Situation, die nicht nur seine persönliche Integrität, sondern auch das Vertrauen in die katholische Kirche weiterhin nachhaltig beeinflussen könnte. Ob als ehemaliger Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz oder als Bischof von Trier trägt er eine zentrale Verantwortung bei der Aufarbeitung sexueller Missbrauchsskandale innerhalb der Kirche - und in seinem eigenen Bistum. Doch diese Verantwortung ist in Ackermanns Fall von tiefen Widersprüchen geprägt, die ihn in eine moralischen Zwickmühle führen könnte.
Die Weiterleitung der Anzeige: Keine Wahl, sondern Pflicht
Es ist wichtig zu betonen, dass Ackermann keine Wahl hat, ob er die Anzeige gegen Kardinal Woelki nach Rom weiterleitet oder nicht. Es ist seine kirchenrechtliche Pflicht, dies zu tun. Der Vatikan fordert in Fällen wie diesem – bei schwerwiegenden Vorwürfen gegen einen hochrangigen Kirchenvertreter – die Weiterleitung der Anzeige an die zuständigen Dikasterien, die dann eine kanonische Untersuchung einleiten. Ackermann kann dieser Pflicht also nicht entkommen. Es ist keine Entscheidung aus eigener Bestimmung, sondern eine Verpflichtung, die ihn zum Handeln zwingt.
Doch was passiert, wenn die Pflicht auf den inneren Wunsch trifft, den Status quo zu wahren? Wenn Ackermann eine Wahl hätte – und das ist der springende Punkt – würde er vermutlich anders handeln. Würde Ackermann die Anzeige weiterleiten, wenn er nicht kirchenrechtlich dazu verpflichtet wäre? Wenn es keine mediale Aufmerksamkeit gäbe? Wahrscheinlich nicht, denn in der Vergangenheit hat er immer wieder gezeigt, dass er sich der Institution Kirche gegenüber deutlich mehr verpflichtet fühlt als den Opfern sexuellen Missbrauchs durch Angehörige der katholischen Kirche gegenüber.
Die Last seiner eigenen Vergangenheit
Ackermanns Vergangenheit als Missbrauchsbeauftragter und als Bischof von Trier wirft einen dicken Schatten auf seine jetzige Rolle. Als Missbrauchsbeauftragter hat er bei vielen Fällen in seiner Diözese nicht entschlossen gehandelt, sondern oftmals die Interessen der Institution über die Rechte der Opfer gestellt. Es gab zahlreiche Skandale, bei denen Täter nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, sondern in der Kirche weiterhin Schutz fanden. Warum sollte jemand, der in seiner eigenen Diözese wiederholt versagt hat, nun als verlässlicher Hüter der Wahrheit auftreten? Ackermann ist schließlich selbst Teil des Systems, das über Jahre hinweg den Missbrauch von Macht und das Verschweigen von Taten als Normalität betrieb.
Ein weiterer brisanter Punkt: Ackermann selbst gerät durch die Anzeige erneut in den Fokus
Ackermann leitet eine Anzeige weiter, die womöglich - indirekt oder direkt - auch sein eigenes Amtshandeln in Frage stellt. Das macht seine Rolle doppelt delikat: Er ist nicht nur Übermittler, sondern auch potentieller Teil jener Strukturen, die jetzt zur Prüfung an den Vatikan gehen. Und wer hier von Loyalitätskonflikten und Selbstschutz spricht, greift gewiss nicht zu hoch.
Gerade weil es nicht nur um das individuelle, sondern auch um systemisches Vertuschen, um strukturelles Versagen und um Missbrauch von Verantwortung geht, rückt auch sein eigenes Handeln als früherer Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz und als Bischof von Trier unweigerlich wieder in den Fokus. Schließlich benennt die Anzeige gegen Woelki nicht nur individuelles Fehlverhalten, sondern ein kirchliches Klima des Wegschauens, an dem Ackermann selbst beteiligt war.
Die moralische Last, der Ackermann sich nicht entziehen kann
Die moralische Verantwortung, die Ackermann in dieser Situation trägt, ist gewaltig. Auch wenn er die Anzeige weiterleitet, wird dies nicht als ein mutiger Schritt wahrgenommen, sondern als eine erzwungene Pflicht. Denn sollte er die Anzeige nicht weiterleiten, würde die katholische Kirche damit erneut zeigen, dass sie auch weiterhin nicht bereit ist, ihre dunklen Geheimnisse zu enthüllen, sondern alles daran setzt, ihre Macht zu wahren und sich von keiner äußeren Kontrolle beeinflussen zu lassen. Und das kann sich die Katholische Kirche nicht mehr leisten. Und Ackermann erst recht nicht.
Claudia Adams