Die katholische Kirche in Deutschland könnte - wenn sie es denn auch wollte
Das Bistum Trier könnte die von einer unabhängigen Arbeitsgruppe empfohlenen Entschädigungen für Missbrauchsopfer problemlos leisten. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der Jahresabschlüsse aller deutschen Bistümer.
Das Bistum Trier könnte die von einer unabhängigen Arbeitsgruppe empfohlenen Entschädigungen für Missbrauchsopfer problemlos leisten. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der Jahresabschlüsse aller deutschen Bistümer.
Das Bistum Trier hat demzufolge mindestens 86 Millionen Euro kurzfristig frei verfügbar, der Bischöfliche Stuhl zu Trier noch einmal 79 Millionen – zusammen 165 Millionen Euro. Das würde für 550 Entschädigungszahlungen zu je 300.000 Euro reichen.
Im Herbst hatte eine von der deutschen Bischofskonferenz (DBK) eingesetzte Expertengruppe Entschädigungszahlungen von 300.000 Euro pro Opfer empfohlen. Legt man die Zahl der bisher vom
Bistum Trier anerkannten Anträge auf eine „materielle Leistung in Anerkennung des Leids“ (von bis zu 5.000 Euro) zugrunde (105 Anträge), ergäbe sich ein Gesamtvolumen von 31,5 Millionen Euro. Das Bistum Trier und der Bischöfliche Stuhl zu Trier verfügen laut ihren Bilanzen über Kassenbestände, Bankguthaben und Wertpapiere in Höhe von insgesamt 800 Millionen Euro.
Selbst, wenn man davon alle Zahlungsverpflichtungen inklusive der Pensionsrückstellungen abzieht, verbleiben immer noch 165 Millionen, über die das Bistum bzw. der Bischöfliche Stuhl kurzfristig frei verfügen könnten, ohne den Bistumsbetrieb zu beeinträchtigen. Tatsächlich dürften es noch mehr sein, denn der tatsächliche Wert der Wertpapiere übersteigt üblicherweise den Buchwert, der in der Bilanz ausgewiesen wird.
Selbst, wenn man davon alle Zahlungsverpflichtungen inklusive der Pensionsrückstellungen abzieht, verbleiben immer noch 165 Millionen, über die das Bistum bzw. der Bischöfliche Stuhl kurzfristig frei verfügen könnten, ohne den Bistumsbetrieb zu beeinträchtigen. Tatsächlich dürften es noch mehr sein, denn der tatsächliche Wert der Wertpapiere übersteigt üblicherweise den Buchwert, der in der Bilanz ausgewiesen wird.
Anmerk. ca: Wenn das Bistum unter diesen Voraussetzungen keine substanziellen Entschädigungen zahlt, wird es nie welche zahlen.
Interview mit Dipl.-Kfm. Matthias Krause
Seit einigen Jahren legen (fast) alle deutschen Bistümer Jahresabschlüsse in Anlehnung an das Handelsgesetzbuch (HGB) vor, das heißt Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen. Dipl.-Kfm. Matthias Krause, der u.a. nach der Jahrtausendwende die Umstellung des öffentlichen Haushalts-und Rechnungswesens in den Kommunen als Dozent und Berater begleitet hat, hat die Jahresabschlüsse aller Bistümer ausgewertet und festgestellt: Zusammen erwirtschaften die deutschen Bistümer Jahr für Jahr Überschüsse von einer halben Milliarde Euro.
Claudia Adams: Herr Krause, wie kam es zu dieser Auswertung?
Matthias Krause: Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit Kirchenfinanzen. Durch meine berufliche Tätigkeit kenne ich mich auch mit dem Haushalts- und Rechnungswesen aus, das die Bistümer verwenden. Was viele nicht wissen: Die meisten Bistümer erwirtschaften regelmäßig Überschüsse, das heißt, die nehmen mehr Geld ein als sie ausgeben. Die Überschüsse mehren das Bistumsvermögen. Als ich las, dass die Bischöfe bei ihrer Frühjahrsvollversammlung über höhere Entschädigungen für Missbrauchsopfer entscheiden wollen – im Raum steht ein Gesamtvolumen von einer Milliarde Euro – interessierte mich, wie lange es dauern würde, wenn die Bistümer diesen Betrag aus ihren Jahresüberschüssen finanzieren würden. Denn dieses Geld stünde ja zur Verfügung, ohne den Betrieb in den Bistümern zu beeinträchtigen.
Claudia Adams: Und wie lange würde es dauern?
Matthias Krause: Ich war selbst überrascht. Ursprünglich hatte ich überlegt, dass der Staat die Milliarde vorfinanzieren könnte, damit sofort mit der Zahlung der Entschädigungen begonnen werden kann. Die Bistümer hätten diesen Betrag dann, so dachte ich, über einen längeren Zeitraum zurückzahlen können, etwa über zehn Jahre. Die Idee war, die Zahlungen über einen so langen Zeitraum zu strecken, dass der normale Betrieb in den Bistümern durch die Zahlung der Entschädigungen nicht beeinträchtigt würde.
Es stellte sich dann allerdings heraus, dass die deutschen Bistümer insgesamt eine halbe Milliarde Euro an Überschüssen pro Jahr erwirtschaften. Das heißt: Um eine Milliarde Euro zu finanzieren, bräuchte es nicht mehr als die Überschüsse aller Bistümer aus zwei Jahren.
Mehr noch: Die Bistümer hätten ja seit 2010 Zeit und Grund gehabt, Rücklagen für die Entschädigung von Missbrauchsopfern zu bilden. Zwar lässt sich nicht genau sagen, welche Überschüsse die Bistümer seit 2010 erwirtschaftet haben, weil die meisten Bistümer erst später auf Jahresabschlüsse in Anlehnung an das Handelsgesetzbuch umgestellt haben. Aber wenn man die durchschnittlichen Jahresüberschüsse auf zehn Jahre hochrechnet, kommt man auf 5 Milliarden Euro seit dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals. Allein die Überschüsse aus den veröffentlichten Jahresabschlüssen belaufen sich auf 2,5 Milliarden Euro – und da ist das Jahr 2019 noch nicht enthalten.
Claudia Adams: Wie schnell könnten die Bistümer diese Mittel denn bereitstellen?
Matthias Krause: Um diese Frage zu klären, habe ich in den Bilanzen der Bistümer nach den Positionen geschaut, die kurzfristig verfügbar sind. Das sind die Kassenbestände, Bankguthaben und die Wertpapiere. Allein deren Buchwert liegt für alle Bistümer zusammen deutlich über 20 Milliarden Euro – der tatsächliche Wert wird noch höher sein, weil die Kurswerte der Wertpapiere in der Regel höher sind als in der Bilanz ausgewiesen.
Obwohl die Wertpapiere kurzfristig zu Geld gemacht werden könnten, können bzw. sollten die Bistümer allerdings nicht frei darüber verfügen. Denn der Grund für die hohen Wertpapierbestände – darin unterscheiden sich Bistümer von Unternehmen – liegt darin, dass die Bistümer damit ihre Pensionsrückstellungen absichern. Um wirklich nur die Mittel zu erhalten, über die die Bistümer frei verfügen können, habe ich bei meiner Auswertung nicht nur alle Rückstellungen, sondern auch alle Verbindlichkeiten – also alle kurz-, mittel- und langfristigen Zahlungsverpflichtungen – von der Summe der Kassenbestände, Bankguthaben und Wertpapiere abgezogen. Für alle Bistümer zusammen verbleiben deutlich über 10 Milliarden Euro kurzfristig verfügbares Finanzvermögen, denen keine Zahlungsverpflichtungen gegenüberstehen. Dies sind Mittel, die sofort für die Entschädigung von Missbrauchsopfern zur Verfügung stünden, ohne dass das Leben in den Bistümern dadurch beeinträchtigt würde.
Claudia Adams: Es gibt also keinen Grund, nicht zu zahlen?
Matthias Krause: (lacht) Natürlich ist es für die Bistümer grundsätzlich besser, eine Milliarde zu haben, als sie nicht zu haben. Aber wenn man dieses Argument akzeptieren würde, müssten die Bistümer ja nie zahlen. Was man sicher sagen kann ist, dass die Situation – zumindest für die deutschen Bistümer insgesamt und auch für die meisten Bistümer – nicht besser sein könnte: Sie haben Milliarden, über die sie kurzfristig frei verfügen können, und sie erwirtschaften regelmäßig Überschüsse. Wenn die Bischöfe unter diesen Bedingungen nicht zur Zahlung angemessener Entschädigungen bereit sind, wann dann? Wenn sie sich jetzt nicht zur Zahlung angemessener Entschädigungen bereiterklären, werden sie sich nie dazu bereiterklären.
Claudia Adams: Die Bischöfe werden sicher auf zukünftig sinkende Einnahmen aus der Kirchensteuer und steigende Kosten verweisen.
Matthias Krause: Die Bistümer haben ja schon in der Vergangenheit gezeigt, wie sie darauf reagieren: Sie passen ihre Haushalte entsprechend an und senken die Aufwendungen. Das heißt: Wenn sie vorher einen Überschuss erwirtschaftet haben, erwirtschaften sie nach der Anpassung immer noch einen Überschuss. Die Kirchenmitglieder akzeptieren das, weil sie einsehen, dass bei steigenden Kosten und sinkendem Kirchensteueraufkommen die Ausgaben gesenkt werden müssen. Die meisten wissen ja nicht, dass die Bistümer Jahr für Jahr Millionenüberschüsse erwirtschaften. Und die meisten Bistümer machen es auch nicht leicht, das zu erkennen – Transparenzoffensive hin oder her.
Claudia Adams: Was müssten die Bischöfe Ihrer Meinung nach tun?
Matthias Krause: Wichtig ist, dass endlich angemessene Entschädigungen gezahlt werden. Es ist jetzt zehn Jahre her, dass der Missbrauchsskandal bekannt wurde. Zehn Jahre! Jede weitere Verzögerung bei den Entschädigungen ist einfach nicht mehr akzeptabel. Die Bischöfe sollten sofort einen Entschädigungsfonds anlegen und Anträge auf Entschädigungen entgegennehmen. Alles weitere – welches Bistum letztlich wie viel zahlt, und wie viel Geld man sich von den Tätern und den Orden zurückholen kann, können die Bistümer später unter sich ausmachen, mit den Tätern und mit den Orden.
Claudia Adams: Bei den Tätern und bei den Orden dürfte aber wohl nicht viel zu holen sein …
Matthias Krause: Deshalb ist es ja umso wichtiger, dass endlich gezahlt wird. Es kann nicht sein, dass die Zahlung der Entschädigungen wegen nachrangiger Beträge immer weiter vertagt wird.
Claudia Adams: Für wie wahrscheinlich halten Sie es denn, dass sich die 27 Bischöfe auf einen Entschädigungsfonds einigen?
Matthias Krause: Für den Entschädigungsfonds ist es nicht notwendig, dass sich alle Bischöfe einigen. Es würde völlig ausreichen, wenn ein paar große Bistümer den Fonds vorfinanzieren würden. Die Erzbistümer Paderborn, Köln und München könnten eine Milliarde sogar alleine stemmen.
Die Bischöfe müssten sogar ein finanzielles Interesse daran haben, das leidige Thema Missbrauch endlich zufriedenstellend abzuschließen. Denn jeder Kirchensteuerzahler, der heute aus der Kirche austritt, weil er sich über die Bischöfe ärgert, verursacht über die nächsten zehn Jahre einen Kirchensteuerausfall von 10.000 Euro. Schon 100.000 zusätzlich ausgetretene Kirchensteuerzahler verursachen also bereits Kirchensteuerausfälle von einer Milliarde Euro über zehn Jahre. Das sind locker die Austritte eines Jahres. 2018 traten über 200.000 Katholiken aus der Kirche aus, 2019 könnten es sogar 300.000 gewesen sein. Zwar hätte nicht jeder Ausgetretene Kirchensteuer gezahlt, aber nur Kirchensteuerzahler haben einen triftigen Grund, aus der Kirche auszutreten. Alle anderen können der Kirche einfach fernbleiben und sich die Austrittsgebühr sparen. Deshalb ist davon auszugehen, dass sich unter den Ausgetretenen überproportional viele Kirchensteuerzahler befinden. Selbst, wenn man die Entschädigungen nur aus finanzieller Sicht betrachtet, vermute ich daher, dass die Bischöfe mit ihrer Hinhaltetaktik der Kirche mehr schaden als nutzen.
Claudia Adams: Herr Krause, vielen Dank für das Gespräch!