Freitag, 13. März 2020

Bistum Trier / DBK: Kriminologe Prof. Dr. Pfeiffer: "Sorgen Sie endlich für Transparenz und Gerechtigkeit!"

"Sorgen Sie endlich für Transparenz und Gerechtigkeit!" - Kriminologe Pfeiffer fordert die Rückholung der Missbrauchsakten aus dem Vatikan und umfassenden Schadensersatz. Kriminologe Professor Christian Pfeiffer hat von der Bundesregierung die Rückholung der Missbrauchsakten aus dem Vatikan, von der Bischofskonferenz Schadensersatz auch für lebenslange Verdienstausfälle der Missbrauchsopfer sowie die Zulassung von unabhängiger Forschung unter Beteiligung von 5.000 aktiven Priestern gefordert. / Schadensersatz auch für lebenslange Verdienstausfälle: Die ausschließliche Zahlung von Schmerzensgeld ist aus Sicht von Pfeiffer zu wenig: "Der Opferschutz und die Opferversorgung müssen nachgebessert werden. Die Bischöfe dürfen sich einer zivilgerichtlichen Aufarbeitung nicht verschließen. Ein Anspruch auf Schadensersatz umfasst nicht nur Schmerzensgeld. Wenn sich die Bischöfe an zivilrechtlichen Regelungen orientieren, dann sollten sie auch die Verdienstausfälle der Missbrauchsopfer entschädigen."  In der Debatte mit Juristen des ifw kam die Idee auf, Musterprozesse in ausgewählten Diözesen zu führen und staatliche Gerichte über die Höhe der materiellen und immateriellen Schadensersatzansprüche entscheiden zu lassen. Zu erwarten stünde im Rahmen dessen u.a. die Anerkennung eines Verdienstausfalles. Wenn man 1.000 Euro pro Monat ansetzt, ergäbe das auf 30 Berufsjahre einen Betrag in Höhe von 360.000 Euro. Damit seien die öffentlich erhobenen Forderungen der Betroffenen für Entschädigungszahlungen pro Opfer zwischen 300.000 Euro und 400.000 Euro ohne Zweifel gerechtfertigt.

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Bistum Trier: "Das tut weh! Die katholischen Bischöfe wollen Missbrauchsopfern künftig Schmerzensgeld zahlen. Was gut klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als vertane Chance"

In Mainz präsentieren Stephan Ackermann und der DBK-Vorsitzende Georg Bätzing (rechts) das neue Schmerzensgeld-Modell der Öffentlichkeit. © Imago Images/​EPD




"Wir haben grundlegende Empfehlungen der unabhängigen Arbeitsgruppe übernommen", heißt es etwa im abschließenden Pressebericht des DBK-Vorsitzenden Georg Bätzing. Bloß: Was Bätzing schreibt, stimmt so nicht. Zwar haben die Bischöfe tatsächlich Punkte aus dem Papier der Gruppe um Matthias Katsch in ihren Maßnahmenkatalog integriert – die Zahlung des Schmerzensgelds als Einmalsumme etwa sowie die Sicherstellung der Steuerbefreiung und die Fortführung der Therapiekostenübernahme für Missbrauchsopfer –, wirklich neu oder gar "grundlegend" jedoch ist nichts davon. Tatsächlich findet sich von den Zentralforderungen des Papiers – Einrichtung eines bistumsübergreifenden Entschädigungsfonds, Anerkennung von Angehörigen und Hinterbliebenen als Anspruchsberechtigte sowie eine Schmerzensgeldhöhe, die sich explizit nicht an den im internationalen Vergleich extrem niedrigen deutschen Schmerzensgeldtabellen orientiert – keine einzige im Maßnahmenkatalog der Bischöfe. - Lediglich das von der unabhängigen Arbeitsgruppe empfohlene bistumsübergreifende Gremium zur verbindlichen Festlegung der individuellen Schmerzensgeldhöhe fand den Segen der Bischöfe. Damit reagiert die DBK auf Kritik an ihrem bisherigen System der "Anerkennungsleistungen". In dem konnte eine Zentrale Koordinierungsstelle (ZKS) bislang nur Empfehlungen für Auszahlungssummen aussprechen. Manche Bistümer hielten sich daran, andere nicht. Das führte zu einer heterogenen, ungerechten und für viele Opfer beschämenden Auszahlungspraxis.

Auch kein Wort zu dem leichter realisierbaren Fondsmodell von Ackermann und Bätzing. Stattdessen raunen sie etwas von einem "dynamischen" und "erweiterbaren" System und berufen sich, ohne Namen zu nennen, auf "Experten", die sie beraten hätten. So verschleiern sie, dass ihre "Weiterentwicklung des Verfahrens zur Anerkennung des Leids" mit dem Arbeitspapier der unabhängigen Expertengruppe im Kern nur noch den Namen gemeinsam hat."


Sonntag, 8. März 2020

Bistum Trier: Bätzing zu seiner Zeit als Generalvikar in Trier und Bischof von Limburg: "Ich kann nicht 100 Prozent ausschließen, dass ich keine Fehler gemacht habe"

Georg Bätzing, ehemaliger Subregens im Priesterseminar Trier und Generalvikar im Bistum Trier 

WDR: "Sie hatten als Generalvikar und auch als Bischof sicherlich mit Missbrauchsbeschuldigungen gegen Geistliche zu tun. Haben Sie da aus Ihrer Sicht in der Vergangenheit Fehler gemacht oder würden Sie sagen, dass Sie an Menschen schuldig geworden sind?"

Bätzing: "(tiefes Einatmen) Ich habe mich in der Verantwortung als Generalvikar , das war in den Jahren von 2012 bis 2016 und danach als Bischof natürlich schon in ganz viele laufende Prozesse, auch der Aufarbeitung mit Einzelpersonen hineinbegeben und hatte da sehr gute Gesprächspartner, die mir Hinweise geben konnten. Ich kann nicht 100 Prozent ausschließen, dass ich keine Fehler gemacht habe. Aber ich habe mich darum (betont) bemüht, diesen Menschen gerecht zu werden und den Verfahren, die sie verdienen, dann auch wirklich zu entsprechen."

WDR: "Sie vermeiden jetzt bewusst das Wort "Entschädigungen". Sind denn die Kirchenleitungen den Betroffenen nicht etwas schuldig geblieben, was tatsächlich auch eine "Entschädigung" verdient hätte?"

Bätzing: "Ja, wir vermeiden nicht das Wort, sondern wir haben uns entschieden für ein anderes System. Entschädigung bedeutet insbesondere auch, den Schaden für materiell erfahrenes Leid irgendwie zu ersetzen. Das würde aber voraussetzen, dass wir Betroffene unter Umständen in erhebliche Prüfkontexte noch einmal stellen und wir wissen um die Sensibilität vieler Menschen. Wir haben mit unserem bisherigen System von Anerkennung und Anerkennungszahlungen 2.200 Personen erreicht, von denen ja viele sagten, sie sind mit diesen Angeboten, wo es nicht nur um Geldleistungen, sondern um therapeutische Maßnahmen, um Begleitung, um Gespräch ging, eigentlich in Frieden.

Wir haben uns entschieden für ein System der Anerkennungsleistung, das sich orientiert an Enscheidungen von staatlichen Gerichten zu Schmerzensgeldern. Da geht es dann eben um immaterielles Leid und Unrecht. Und wir haben uns entschieden, wir möchten nur eine Plausibilitätsprüfung, die Betroffene nicht mehr unbedingt persönlich in Rede- und Antwortkontexte nimmt. Ich glaube, man muss eben abwägen, welche Systeme man wählt. Es ist aber eine bewusste Entscheidung der Konferenz gewesen, die auch von vielen Fachleuten uns dringend angeraten wurde."

WDR: "Ja, aber es haben doch auch Überlebende von Missbrauch materiellen Schaden erlitten. Zum Beispiel durch ganz schwierige Berufsbiografien,  fühlen Sie sich dafür als Kirchenleitung nicht mitverantwortlich?"

Bätzing: "Doch, das ist ja genau der Hintergrund einer institutionellen Verantwortung, die wir mit diesem System von Anerkennungszahlungen übernehmen und  wir haben ja bewusst auch keine Obergrenze genannt, sondern gesagt, wir orientieren uns an Entscheidungen zu Schmerzensgeldern und zwar in den höheren Bereichen,  nicht im niedrigen Bereich: 1. Ist dieses System erweiterbar und wird sich verändern und 2. Haben wir gesagt, und darüber hinaus gibt es immer wieder Sondersituationen, wo auch andere Summen durch das – und das ist ja etwas Neues – ein unabhängiges Gremium festgelegt und ausgezahlt werden, dass wir selber nicht mitbestimmen in seiner Entscheidung. Ich glaube, dass wir mit diesem System doch vielen gerecht werden können. Ich weiß, es gibt Betroffenenvertretungen, die sind damit nicht zufrieden.  Ja, das ist so."

WDR: "Sie sagen, als Argument dafür, dass Sie keinen materiellen Schaden ausgleichen wollen, dass Sie dann die Menschen in ein Prüfverfahren schicken müssten.  Aber nun ist es ja auch so,  wenn Sie sagen, Sie orientieren sich am Schmerzensgeld für immateriellen Schaden, dass auch dort vor Gerichten durchaus  ein immaterieller Schaden nachgewiesen werden muss,  deswegen variieren ja diese staatlichen Schmerzensgelder ganz erheblich. Also mir leuchtet eigentlich nicht ein, warum Sie nicht auch eine Reduktion der Nachweispflicht für materielle beschließen können als Bischöfe."

Bätzing: "Ich glaube, dass wäre eine so außergewöhnliche Entscheidung in unserer Rechtskultur und in unserem gesellschaftlichen System.  Wir haben ja auch erlebt in der Diskussion nachdem die Zahlen in die Öffentlichkeit gekommen sind im vergangenen Herbst, das war ja nicht nur eine Befürwortung, sondern viele Menschen haben gesagt: „Wenn es um solche Summen geht, das geht doch nicht ohne gerichtliche Verfahren, das geht doch nicht ohne Prüfung, das geht doch nicht ohne Nachweise.“ Und dagegen entscheiden wir uns, auch aus der Erfahrung jetzt so vieler Jahre mit Betroffenen und deren Ansprüchen sie wirklich haben und auch mit dem Respekt davor,  dass sie auch irgendwann mal in Ruhe gelassen werden können. Aber es ist doch auch verständlich, in den genannten Höhen, 300.00,00, 400.000,00 Euro nicht einfach auf der Grundlage einer sehr niedrigschwelligen Plausibilitätsprüfung zahlen könnte. Das wäre nicht vermittelbar. "

WDR: "Das wäre „großzügig“!"

Bätzing: "(tiefes Einatmen). Ich weiß nicht ob der Begriff „Großzügigkeit“ … also,  ich vermeide ihn. Was heißt „großzügig“? Es geht hier um Anerkennung, dass Menschen zum Teil tatsächlich unsäglich Unrecht erlebt haben und Leid erfahren haben. „Großzügigkeit“ ist kein guter Begriff."

WDR: "Ok. Vielleicht haben Sie Recht. Für die Betroffenen wäre es nur „angemessen.“"

das vollständige Interview auf wdr.de hören

Donnerstag, 5. März 2020

Bistum Trier: Bätzings zweifelhafter Einstieg - Hier die Klarstellung zur finanziellen Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Bistümer und ihren Finanzierungsquellen




Bildergebnis für Georg bätzing ackermann

Bildquelle: swr.de


Auf der Pressekonferenz zum Abschluss der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) fragte ein anwesender Journalist nach der Finanzierung der “Entschädigungszahlungen” an Missbrauchsopfer (die die Bischöfe nicht “Entschädigungen” nennen wollen), speziell nach der Kirchensteuer. (Video der Pressekonferenz, ab Minute 46:41) In seiner Antwort erklärte der neue DBK-Vorsitzende Georg Bätzing:

»Das ist für einzelne Diözesen ganz schwierig. Es gibt Diözesen, die haben keinerlei andere Quellen, gerade im Osten unseres Landes, als die Kirchensteuern.« ((Video der Pressekonferenz ab Minute 49:49)

Das sind zwei Unwahrheiten in zwei Sätzen. Alle Bistümer erhalten außer der Kirchensteuer auch Staatsleistungen, darüber hinaus verfügen sie über Finanzerträge, z.B. aus Wertpapieren, Beteiligungen oder Zinsen. Diese Zahlen sind auch aus den Jahresabschlüssen der Bistümer bekannt. (Außer in Erfurt, wo die Staatsleistungen im Jahresabschluss nicht ausgewiesen werden.)

Schaut man sich diese Zahlen an, muss man sich fragen, für welches ostdeutsche Bistum die Zahlung der in Aussicht gestellten Beträge von 5.000 bis 50.000 Euro „schwierig“ werden soll."

den vollständigen Kommentar auf skydaddy lesen





"Es ist beschämend, demütigend, erniedrigend und entwürdigend"


Einzelfälle wurden bis heute nicht aufgeklärt. Betroffenen bis heute nicht erklärt, wie es dazu hatte kommen können, damit sie verstehen können.  Die Verantwortlichen wurden bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen. Kein einziger Bischof übernahm Verantwortung in seinem eigenen Bistum.

Was bleibt? 
Über 40 Jahre unsägliches Leid. Folgeerkrankungen. Unheilbar. Berentung mit 32 Jahren. 
Und: Eine für immer gespaltene Seele.  
- Und: 10 Jahre lang 88,83 Euro monatlich als finanzielle Unterstützung. 

Claudia Adams 

Bistum Trier / DBK: Grundsätze für Zahlungen nach Missbrauch getroffen

Bildergebnis für bischof ackermann


Die Deutsche Bischofskonferenz hat auf ihrer Vollversammlung in Mainz einheitliche Grundsätze für Zahlungen an Betroffene von sexuellem Missbrauch in der Kirche beschlossen. Die am Donnerstag vom Trierer Bischof Stephan Ackermann vorgestellten Leitlinien sehen ein zentrales und unabhängiges Gremium vor, das in Anlehnung an das Niveau gerichtlicher Schmerzensgeld-Entscheidungen die Höhe von "Anerkennungszahlungen" festsetzt. Die jeweiligen Bistümer entscheiden selbst, wie sie die Zahlungen finanzieren.

Die Höhe der individuellen Einmalzahlung soll sich am "oberen Bereich" gerichtlicher Entscheidungen orientieren, heißt es in den Grundsätzen. Diese erstrecken sich in entsprechenden Tabellen von etwa 5000 bis 50 000 Euro.

Damit bleibt der Beschluss der Bischofskonferenz hinter den Empfehlungen einer unabhängigen Arbeitsgruppe zurück, die der Bischofskonferenz im September vergangenen Jahres auf der Vollversammlung in Fulda vorgelegt wurden. Diese sahen ein Grund-Schmerzensgeld von 10 000 Euro und zusätzlich entweder einen pauschalen Entschädigungsbetrag von 300 000 Euro oder einen gestuften Entschädigungsbetrag von 40 000 bis 400 000 Euro vor. Nach der MHG-Studie zu Missbrauch in der katholischen Kirche wurden von 1946 bis 2014 mindestens 3677 Minderjährige Opfer sexueller Gewalt von mindestens 1670 Klerikern.

dpa


DBK: "Zur Umsetzung dieser Grundsätze werden offene Verfahrensfragen und Details bis Herbst
2020 geklärt." Pressemeldung der DBK "Weiterentwicklung des Verfahrens zur Anerkennung des LeidsGrundsätze" 

Montag, 2. März 2020

Bistum Trier / DBK: Auch das Bistum Trier könnte Entschädigungen für Betroffene im Bistum leicht verkraften - Ein Interview mit Dipl.-Kfm. Matthias Krause

Die katholische Kirche in Deutschland könnte - wenn sie es denn auch wollte

Das Bistum Trier könnte die von einer unabhängigen Arbeitsgruppe empfohlenen Entschädigungen für Missbrauchsopfer problemlos leisten.  Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der Jahresabschlüsse aller deutschen Bistümer. 

Das Bistum Trier hat demzufolge mindestens 86 Millionen Euro kurzfristig frei verfügbar, der Bischöfliche Stuhl zu Trier noch einmal 79 Millionen – zusammen 165 Millionen Euro. Das würde für 550 Entschädigungszahlungen zu je 300.000 Euro reichen.

Im Herbst hatte eine von der deutschen Bischofskonferenz (DBK) eingesetzte Expertengruppe Entschädigungszahlungen von 300.000 Euro pro Opfer empfohlen. Legt man die Zahl der bisher vom
Bistum Trier anerkannten Anträge auf eine „materielle Leistung in Anerkennung des Leids“ (von bis zu 5.000 Euro) zugrunde (105 Anträge), ergäbe sich ein Gesamtvolumen von 31,5 Millionen Euro. Das Bistum Trier und der Bischöfliche Stuhl zu Trier verfügen laut ihren Bilanzen über Kassenbestände, Bankguthaben und Wertpapiere in Höhe von insgesamt 800 Millionen Euro.

Selbst, wenn man davon alle Zahlungsverpflichtungen inklusive der Pensionsrückstellungen abzieht,  verbleiben immer noch 165 Millionen, über die das Bistum bzw. der Bischöfliche Stuhl kurzfristig frei verfügen könnten, ohne den Bistumsbetrieb zu beeinträchtigen. Tatsächlich dürften es noch mehr sein, denn der tatsächliche Wert der Wertpapiere übersteigt üblicherweise den Buchwert, der in der Bilanz ausgewiesen wird. 

Anmerk. ca: Wenn das Bistum unter diesen Voraussetzungen keine substanziellen Entschädigungen zahlt, wird es nie welche zahlen.




Interview mit Dipl.-Kfm. Matthias Krause

Seit einigen Jahren legen (fast) alle deutschen Bistümer Jahresabschlüsse in Anlehnung an das Handelsgesetzbuch (HGB) vor, das heißt Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen. Dipl.-Kfm. Matthias Krause, der u.a. nach der Jahrtausendwende die Umstellung des öffentlichen Haushalts-und Rechnungswesens in den Kommunen als Dozent und Berater begleitet hat,  hat die Jahresabschlüsse aller Bistümer ausgewertet und festgestellt: Zusammen erwirtschaften die deutschen Bistümer Jahr für Jahr Überschüsse von einer halben Milliarde Euro.

Claudia Adams: Herr Krause, wie kam es zu dieser Auswertung?

Matthias Krause: Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit Kirchenfinanzen. Durch meine berufliche Tätigkeit kenne ich mich auch mit dem Haushalts- und Rechnungswesen aus, das die Bistümer verwenden. Was viele nicht wissen: Die meisten Bistümer erwirtschaften regelmäßig Überschüsse, das heißt, die nehmen mehr Geld ein als sie ausgeben. Die Überschüsse mehren das Bistumsvermögen. Als ich las, dass die Bischöfe bei ihrer Frühjahrsvollversammlung über höhere Entschädigungen für Missbrauchsopfer entscheiden wollen – im Raum steht ein Gesamtvolumen von einer Milliarde Euro – interessierte mich, wie lange es dauern würde, wenn die Bistümer diesen Betrag aus ihren Jahresüberschüssen finanzieren würden. Denn dieses Geld stünde ja zur Verfügung, ohne den Betrieb in den Bistümern zu beeinträchtigen.

Claudia Adams: Und wie lange würde es dauern?

Matthias Krause:  Ich war selbst überrascht. Ursprünglich hatte ich überlegt, dass der Staat die Milliarde vorfinanzieren könnte, damit sofort mit der Zahlung der Entschädigungen begonnen werden kann. Die Bistümer hätten diesen Betrag dann, so dachte ich, über einen längeren Zeitraum zurückzahlen können, etwa über zehn Jahre. Die Idee war, die Zahlungen über einen so langen Zeitraum zu strecken, dass der normale Betrieb in den Bistümern durch die Zahlung der Entschädigungen nicht beeinträchtigt würde.

Es stellte sich dann allerdings heraus, dass die deutschen Bistümer insgesamt eine halbe Milliarde Euro an Überschüssen pro Jahr erwirtschaften. Das heißt: Um eine Milliarde Euro zu finanzieren, bräuchte es nicht mehr als die Überschüsse aller Bistümer aus zwei Jahren.

Mehr noch: Die Bistümer hätten ja seit 2010 Zeit und Grund gehabt, Rücklagen für die Entschädigung von Missbrauchsopfern zu bilden. Zwar lässt sich nicht genau sagen, welche Überschüsse die Bistümer seit 2010 erwirtschaftet haben, weil die meisten Bistümer erst später auf Jahresabschlüsse in Anlehnung an das Handelsgesetzbuch umgestellt haben. Aber wenn man die durchschnittlichen Jahresüberschüsse auf zehn Jahre hochrechnet, kommt man auf 5 Milliarden Euro seit dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals. Allein die Überschüsse aus den veröffentlichten Jahresabschlüssen belaufen sich auf 2,5 Milliarden Euro – und da ist das Jahr 2019 noch nicht enthalten.

Claudia Adams:  Wie schnell könnten die Bistümer diese Mittel denn bereitstellen?

Matthias Krause:  Um diese Frage zu klären, habe ich in den Bilanzen der Bistümer nach den Positionen geschaut, die kurzfristig verfügbar sind. Das sind die Kassenbestände, Bankguthaben und die Wertpapiere. Allein deren Buchwert liegt für alle Bistümer zusammen deutlich über 20 Milliarden Euro – der tatsächliche Wert wird noch höher sein, weil die Kurswerte der Wertpapiere in der Regel höher sind als in der Bilanz ausgewiesen.

Obwohl die Wertpapiere kurzfristig zu Geld gemacht werden könnten, können bzw. sollten die Bistümer allerdings nicht frei darüber verfügen. Denn der Grund für die hohen Wertpapierbestände – darin unterscheiden sich Bistümer von Unternehmen – liegt darin, dass die Bistümer damit ihre Pensionsrückstellungen absichern. Um wirklich nur die Mittel zu erhalten, über die die Bistümer frei verfügen können, habe ich bei meiner Auswertung nicht nur alle Rückstellungen, sondern auch alle Verbindlichkeiten – also alle kurz-, mittel- und langfristigen Zahlungsverpflichtungen – von der Summe der Kassenbestände, Bankguthaben und Wertpapiere abgezogen. Für alle Bistümer zusammen verbleiben deutlich über 10 Milliarden Euro kurzfristig verfügbares Finanzvermögen, denen keine Zahlungsverpflichtungen gegenüberstehen. Dies sind Mittel, die sofort für die Entschädigung von Missbrauchsopfern zur Verfügung stünden, ohne dass das Leben in den Bistümern dadurch beeinträchtigt würde.

Claudia Adams:  Es gibt also keinen Grund, nicht zu zahlen?

Matthias Krause: (lacht) Natürlich ist es für die Bistümer grundsätzlich besser, eine Milliarde zu haben, als sie nicht zu haben. Aber wenn man dieses Argument akzeptieren würde, müssten die Bistümer ja nie zahlen. Was man sicher sagen kann ist, dass die Situation – zumindest für die deutschen Bistümer insgesamt und auch für die meisten Bistümer – nicht besser sein könnte: Sie haben Milliarden, über die sie kurzfristig frei verfügen können, und sie erwirtschaften regelmäßig Überschüsse. Wenn die Bischöfe unter diesen Bedingungen nicht zur Zahlung angemessener Entschädigungen bereit sind, wann dann? Wenn sie sich jetzt nicht zur Zahlung angemessener Entschädigungen bereiterklären, werden sie sich nie dazu bereiterklären.

Claudia Adams: Die Bischöfe werden sicher auf zukünftig sinkende Einnahmen aus der Kirchensteuer und steigende Kosten verweisen.

Matthias Krause: Die Bistümer haben ja schon in der Vergangenheit gezeigt, wie sie darauf reagieren: Sie passen ihre Haushalte entsprechend an und senken die Aufwendungen. Das heißt: Wenn sie vorher einen Überschuss erwirtschaftet haben, erwirtschaften sie nach der Anpassung immer noch einen Überschuss. Die Kirchenmitglieder akzeptieren das, weil sie einsehen, dass bei steigenden Kosten und sinkendem Kirchensteueraufkommen die Ausgaben gesenkt werden müssen. Die meisten wissen ja nicht, dass die Bistümer Jahr für Jahr Millionenüberschüsse erwirtschaften. Und die meisten Bistümer machen es auch nicht leicht, das zu erkennen – Transparenzoffensive hin oder her.

Claudia Adams: Was müssten die Bischöfe Ihrer Meinung nach tun?

Matthias Krause: Wichtig ist, dass endlich angemessene Entschädigungen gezahlt werden. Es ist jetzt zehn Jahre her, dass der Missbrauchsskandal bekannt wurde. Zehn Jahre! Jede weitere Verzögerung bei den Entschädigungen ist einfach nicht mehr akzeptabel. Die Bischöfe sollten sofort einen Entschädigungsfonds anlegen und Anträge auf Entschädigungen entgegennehmen. Alles weitere – welches Bistum letztlich wie viel zahlt, und wie viel Geld man sich von den Tätern und den Orden zurückholen kann, können die Bistümer später unter sich ausmachen, mit den Tätern und mit den Orden.

Claudia Adams: Bei den Tätern und bei den Orden dürfte aber wohl nicht viel zu holen sein …

Matthias Krause: Deshalb ist es ja umso wichtiger, dass endlich gezahlt wird. Es kann nicht sein, dass die Zahlung der Entschädigungen wegen nachrangiger Beträge immer weiter vertagt wird.

Claudia Adams: Für wie wahrscheinlich halten Sie es denn, dass sich die 27 Bischöfe auf einen Entschädigungsfonds einigen?

Matthias Krause: Für den Entschädigungsfonds ist es nicht notwendig, dass sich alle Bischöfe einigen. Es würde völlig ausreichen, wenn ein paar große Bistümer den Fonds vorfinanzieren würden. Die Erzbistümer Paderborn, Köln und München könnten eine Milliarde sogar alleine stemmen.

Die Bischöfe müssten sogar ein finanzielles Interesse daran haben, das leidige Thema Missbrauch endlich zufriedenstellend abzuschließen. Denn jeder Kirchensteuerzahler, der heute aus der Kirche austritt, weil er sich über die Bischöfe ärgert, verursacht über die nächsten zehn Jahre einen Kirchensteuerausfall von 10.000 Euro. Schon 100.000 zusätzlich ausgetretene Kirchensteuerzahler verursachen also bereits Kirchensteuerausfälle von einer Milliarde Euro über zehn Jahre. Das sind locker die Austritte eines Jahres. 2018 traten über 200.000 Katholiken aus der Kirche aus, 2019 könnten es sogar 300.000 gewesen sein. Zwar hätte nicht jeder Ausgetretene Kirchensteuer gezahlt, aber nur Kirchensteuerzahler haben einen triftigen Grund, aus der Kirche auszutreten. Alle anderen können der Kirche einfach fernbleiben und sich die Austrittsgebühr sparen. Deshalb ist davon auszugehen, dass sich unter den Ausgetretenen überproportional viele Kirchensteuerzahler befinden. Selbst, wenn man die Entschädigungen nur aus finanzieller Sicht betrachtet, vermute ich daher, dass die Bischöfe mit ihrer Hinhaltetaktik der Kirche mehr schaden als nutzen.

Claudia Adams: Herr Krause, vielen Dank für das Gespräch!