Donnerstag, 9. Januar 2020

Bistum Trier: Kommentar zu dem, was in den letzten 10 Jahren geschah - und was nicht



Inzwischen sind zehn Jahre vergangen,  dass der Missbrauchsskandal am Canisius-Kolleg bekannt wurde, und sich die Übergriffe katholische Priester an Kindern und Jugendlichen wie eine „Flutwelle“ über Deutschland ausbreitete. Aus drei Opfern wurden Tausende. 

2012 recherchierten Dr. Thomas Schnitzler, Hermann Schell und ich, dass es alleine im Bistum Trier über 30 Priester gab, die trotz Vorwürfe sexuellen Missbrauchs weiterhin zelebrierten bzw. Kontakt zu Kindern und Jugendlichen hatten. Bei mindestens sieben von den Priestern gab es bereits Gerichtsverhandlungen mit unterschiedlichen Strafmaßen. Dennoch: Sie durften weiter zelebrieren. Zwar gab es Auflagen, sich von Kindern und Jugendlichen fernzuhalten etc., aber niemand kontrollierte, ob diese Auflagen tatsächlich eingehalten wurden. Es fällt mir bis heute schwer zu glauben, dass Priester aus dem Bistum Trier, die mit Vorwürfen sexuellen Missbrauchs konfrontiert wurden, nicht mehr tätig sein sollen. Schließlich kann Ackermann selbst die Frage „Wohin mit auffällig gewordenen Priestern?“ bis heute nicht beantworten. 

Die MHG-Studie, welche am 25.09.2018 offiziell vorgestellt wurde und deutschlandweit den Zeitraum zwischen 1946 und 2014 erfasste, zeigte ein Hellfeld von 3.677 Betroffenen und 1.670 Klerikern auf. Aus der Dunkelfeldforschung, die den sexuellen Missbrauch betrifft, ist bekannt, dass die Zahl der tatsächlich Betroffenen Personen deutlich höher liegt – sowohl bei den Tätern als auch bei den Betroffenen. Ich für mich schließe nicht aus, dass man die Anzahl der Täter und Opfer mit fünf oder sogar zehn multiplizieren sollte, um der Realität näher zu kommen.

Jetzt kommt natürlich die Frage auf, was ist in den letzten 10 Jahren geschehen? Wie ist die Kirche mit Tätern und Opfern umgegangen. Welche Fortschritte gibt es? Kurz: Hat sich etwas verändert, und wenn ja, was und vor allem: für wen?

Als Betroffene, die als Kindergartenkind über Jahre hinweg von einem katholischen Pfarrer sexuell schwer missbraucht wurde, kann ich das ganze nur aus Betroffenensicht beurteilen.
Die Kirche selbst behauptet z.B. in diesen Tagen, seit 2010 habe ein Perspektiv- und Paradigmenwechsel stattgefunden. Nicht mehr das unbeschadete Ansehen der Kirche stehe im Vordergrund, sondern der Blick auf das Leid der Opfer. Es gelte, dass man Betroffenen grundsätzlich glaube, sie müssten keine Beweise für die Tat vorlegen. Lediglich die Plausibilität ihres Tatberichts würde abgefragt. Außerdem etabliere sich allmählich eine Kultur der Achtsamkeit. – (Diese Achtsamkeit wurde uns übrigens bereits 2011 versprochen und konnte uns Betroffene bis heute nicht überzeugen.)

Ich halte es für abwegig und irreführend, dass die Kirche behauptet, es stünde nicht mehr das Ansehen der Kirche im Vordergrund, sondern das Leid der Opfer. Natürlich geht es der Kirche weiterhin um ihr Ansehen. Warum sonst verweist sie immer wieder darauf, dass man das Ansehen und das Vertrauen der Gläubigen wieder zurückgewinnen wollte? Warum fragt sich die Kirche weiterhin, mit welchen Mitteln ihnen das gelingen könnte? 

Dass das  Leid der Opfer im Mittelpunkt stünde, behauptet Ackermann inzwischen seit fast 10 Jahren. – Allerdings bekommen wir Betroffene davon nichts zu spüren. Im Mittelpunkt - aus Ackermanns Sicht - steht für mich weiterhin das Ansehen der Kirche respektive das Ansehen von Ackermann selbst, dann der Umgang mit den Tätern, dann – je nach Lage - synodale Veränderungen , Pfarreienreform, etc. und irgendwann taucht dann wieder die Frage auf: „Ach, da sind ja noch die Opfer. Die wollen ja auch noch, das etwas geschieht….“. Als wären wir eine Last, die er noch zu tragen hätten, deren Thematik er am liebsten verdrängen würde. Das ist das Gefühl, welches wir Opfer empfinden, wenn Ackermann davon spricht, die Betroffenen würden im Mittelpunkt stehen.

Die Kirche behauptet weiterhin, sie habe die Leitlinien verschärft. Damit mag sie Recht haben und sich auch tatsächlich bemüht haben; die Lei(d)tlinien werden auch erstmals in allen Bistümern als „diözesanes Recht“ gelten (was vorher nicht der Fall war), aber allein der Begriff „Leitlinien“ beinhaltet doch, dass es sich hierbei lediglich um „Leitlinien“ handelt. Was nützen z.B. Präventionsverordnungen und Schulungen, wenn es Priester gibt, die sich wehren und an solchen Präventionsschulungen nicht teilnehmen? - Was nutzt es, wenn das, was auf dem Papier steht, nicht eingehalten wird? - Nichts. Es verliert an jeglicher Bedeutung. 

Wenn z.B.  in den Leitlinien steht, dass es ein Protokollgespräch geben muss, liest sich das schön und gut. Bei vielen dieser Gespräche fühlen sich jedoch Betroffene in die Enge getrieben, fühlen sich der Institution und dem Machtapparat Kirche ausgesetzt. Da findet kaum ein Gespräch auf Augenhöhe statt. Dies hängt m.E. auch mit der Qualifizierung der Personen zusammen, die „vernehmen“. Ich selbst z.B. konnte keinerlei Struktur in dem Protokollgespräch erkennen.  Sie werden einer Befragung ausgesetzt und den meisten Betroffenen fällt es verständlicherweise schwer, in einer solchen Stress-Situation nicht retraumatisiert zu werden, und im Hier und Jetzt zu bleiben. Das ist besonders heftig, wenn man weiß, dass das Gegenüber keinerlei psychologische Ausbildung hat und gar nicht mitbekommt, dass man teilweise gar nicht mehr über das berichten kann, was man erlebt haben, weil man in dem Moment gar keinen Zugang mehr zu dem Erlebten hat.   Eine reine Schutzfunktion. - Betroffene aus Bistum Trier berichten immer wieder über teils unsägliche Formulierungen und Aussagen von den Ansprechpartnern des Bistums Trier. Beschwerden, die auch das Bistum erreichten, in der Hoffnung, dass man doch bitte sensibler vorgesehen sollte, verlieren sich im Nirgendwo. 

Wenn ich lese, dass Vatican.news vor wenigen Tagen noch lancierte, dass Opfer inzwischen mehr Rechte vor Gericht hätten, dass sich sowohl zivil- als auch strafrechtlich Verjährungsfristen verlängert wurden, dann ist das ein wegweisender Schritt. Allerdings schmückt sich die Kirche hiermit auch mit „fremden Federn“. Es ist ausschließlich auf Reformen der Justiz u.a. auch des Opferentschädigungsgesetz zurückzuführen, dies waren Errungenschaften der Bundesregierung, die Kirche hat gewiss nicht dazu beigetragen.

Fakt ist, Ackermanns desaströser Versuch  "Aufklärungswillen" zu demonstrieren,  hat bereits mit der einseitigen Beendigung des Vertrages mit Herrn Pfeiffer begonnen. Ackermann selbst erklärte dazu, es habe ein „zerrüttetes Vertrauensverhältnis bestanden.“ Pfeiffer dagegen erklärte, die Studie sei "an den Zensur- und Kontrollwünschen der Kirche gescheitert". – Das klingt für mich völlig plausibel und gut vorstellbar. 

Viele von uns Betroffenen hatten und haben weiterhin die Zielsetzung, dass das, was uns geschah, also der sexuelle Missbrauch durch Angehörige der katholischen Kirche, wenn möglich keinem anderen Kind widerfahren sollte. Kein Kind auf der Welt sollte unter diese menschenverachtenden und entwürdigende Verbrechen leiden müssen, weder an dem Verbrechen an sich, noch an den Folgeerkrankungen, und erst Recht nicht unter dem Umgang mit Bischof Ackermann. Diese Zielsetzung hatte Priorität. – Und dazu gehört doch erst einmal, dass ich die Priester, die bereits auffällig geworden sind, „aus dem Verkehr ziehe“, und damit meine ich, dass es nicht sein darf, dass genau diese Priester in ein Altersheim, eine Pflegeeinrichtung oder als Seelsorger eingesetzt werden, wo sie doch wieder Kontakt zu Kindern, Jugendlichen und vielleicht auch psychisch kranken Menschen zu tun haben. Vielleicht auch zu missbrauchten Menschen, die das Gespür entwickeln konnten, wer ihnen gegenübersteht. - Geschweige denn, dürfen solche Priester nicht weiterhin in der Öffentlichkeit zelebrieren dürfen. Auch nicht vertretungsweise.  In den letzten 10 Jahren gab es allerdings immer wieder Fälle, in denen genau dies geschah. 

Ich würde gerne von Herrn Ackermann wissen, ob er ausschließen kann, dass wenn ich am Sonntag eine Messe besuche oder eine Krankenhausandacht etc, ob mir da nicht ein Priester gegenübersteht, der bereits auffällig geworden ist und mit Vorwürfen sexuellen Missbrauchs konfrontiert wurde.

Und dies muss meiner Ansicht nach ausgeschlossen werden. 

Ich würde Bischof Ackermann auch gerne fragen, wie er selbst die Begriffe „Aufklärung“ und „Aufarbeitung“ definieren würde, die er ja seit Jahren immer wieder gebraucht. Ich glaube nicht, dass es da eine einheitliche Definition gibt. Diese müsste aber in einem Austausch gegeben sein, damit auch die Betroffenen überhaupt wissen, was mit den Begrifflichkeiten gemeint ist. 

Natürlich versuche ich auch, Bischof Ackermann zu verstehen, auch seine Motivation, warum er zu bestimmten Zeitpunkten bestimmte Dinge sagt oder tut. Ich würde auch nicht behaupten, dass er es leicht hat. –  Hinzu kommt, dass es offensichtlich ist, dass er manchmal einfach nur enormes Pech bei seinen Formulierungen und seiner Wortwahl zu haben scheint. Aber wer, wenn nicht er, sollte vorher genau überlegen, was er sagt und welche schmerzhaften Gefühle er gegenüber Betroffenen damit auslösen kann? 

Als Bischof Ackermann 2010 von „Aufklärung“ sprach, hatte ich damals noch die Hoffnung, dass auch einzelne Fälle aufgeklärt werden. Dass wir Betroffene endlich Antworten auf die für uns wichtige Frage bekommen würden, wie konnte es soweit kommen? - Waren wir nur unglücklicherweise zur falschen Zeit am falschen Ort? Waren wir die Einzigen? Konnten wir überhaupt noch von Einzelfällen reden? – Oder sollte es tatsächlich ein System sein , welches sich dahinter verbarg? Dieser Frage musste ich z.B. selbst nachgehen. Ohne jegliche Unterstützung des Bistums. Ich war es, die das Leben des Täters recherchierte, ich war es, die den Tatort aufsuchte, die mit Hilfe von Zeugen ein Bild zusammensetzte, wie ein Puzzle. Nur, weil ich verstehen wollte, wie es dazu kommen konnte.  Es gab auch Hinweise in der Akte, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen lief, als es um die Versetzung meines Täters ging. Aber in der Akte, in die ich Einsicht bekam, fehlte genau der Zeitraum, der meinen Tatzeitraum betraf. Natürlich wird man da stutzig. Ackermanns Antwort auf meine Frage, ob die Akte vollständig sei, erhielt ich die Antwort: „Sie wurde mir so vorgelegt“. Aha. Das bedeutete? Nichts! Im Gegenteil: Das Misstrauen wurde verständlicherweise noch größer.

Dennoch komme ich immer wieder zu einem Schluss: Ackermann kann und darf allein schon aufgrund seiner Position her, kein Mitgefühl mit den Opfern aufbringen und ihnen Hilfe anbieten. Das verbietet sich meines Erachtens nach per se. Er ist ein Teil einer mächtigen Institution, bei der es gilt, sowohl die Schergen als auch das eigene Personal zu schützen. Macht, Intrigen, Kumpelei und Erpressung im System nicht ausgeschlossen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Ackermanns elbst einen höheren Posten anstrebt. Vielleicht möchte er sich – was ganz verständlich – ist, profilieren. Wenn ich sehe, welch fragwürdigen Kleriker Macht in Rom eingeräumt wurde, kann ich derzeit nicht ausschließen, dass es auch Ackermann gelingen könnte, eine höhere Position in Rom zu erlangen. 

Ich weiß auch nicht, wie frei und selbstständig man überhaupt noch denken und handeln kann, wenn man die Position eines Bischofs innehat. Selbst das objektive Handeln fällt bei ihm weg. Und wenn da von natura aus keine Empathie vorhanden ist, kein Blick für das, was in einem Menschen vorgeht, frage ich mich, was bleibt da noch an Mitgefühl für die Betroffenen übrig? Ist da überhaupt Platz dafür in einer solchen Machtinstitution? Meiner Ansicht nach: nein. Da ist kein Platz für Anteilnahme und Verständnis-aufbringen.

Die Thematik der Anerkennung der erlittenen Leids („Entschädigungszahlungen“) stellt sich für mich inzwischen als vergoren dar. Ich würde es auf die Liste setzen, was die Kirche innerhalb der letzten 10 Jahre NICHT geschafft hat. Nach einem ersten Schnellschuss (2011) der – so sehe ich es im Rückbklick – die Opfer besänftigen sollte, scheint nun alles auf eine dezentrale Regelung zuzulaufen. Wenn ich sehe, dass Bischof Burger in Freiburg seit Januar diesen Jahres Betroffenen eine „Opferrente“ bis zu 800,00 Euro zugesteht, und das Bistum Trier einer Betroffenen (welche 2011 noch als Härtefall eingestuft wurde) in einer Notsituation nicht einmal übergangsweise 200,00 – 400,00 zugesteht, liegt da noch einiges im Argen. 

Wenn ich auf die letzten 10 Jahre zurückblicke und mich frage, was sich für mich als Betroffene geändert hat? 

Ich bin kränker geworden, nachdem, was in den letzten zehn Jahren geschah. Besonders der Umgang von Bischof Ackermann mit Betroffenen in seinem eigenen Bistum trug dazu bei. Da versucht man, mit Therapien die Wunden von damals, die zu den Symptomen von heute führen, zu heilen und dann wird all das wieder aufgerissen. Völlig unüberdacht. Offensichtlich ist sich Ackermann gar nicht bewusst darüber, was er uns Betroffenen antut. Welches erneutes und weitere Leid er ins uns auslöst. Und was die Glaubwürdigkeit des Bischofs betrifft: Sie kann inzwischen nicht mehr sinken, da sie gar nicht mehr vorhanden ist. 

Was Ackermann in den letzten zehn Jahren auf jeden Fall aufrecht erhalten und uns Betroffenen gegenüber immer wieder verdeutlicht hat: Macht und Ohnmacht. 

Claudia Adams