Mittwoch, 24. Juli 2024

Bistum Trier: mindestens 199 Opfer sexuellen Missbrauchs durch katholische Priester zwischen 1981 und 2001 - mindestens drei Opfer suizidierten sich unmittelbar nach den Taten

Auch in der Amtszeit von Bischof Hermann Josef Spital konnten Priester offenbar Kinder missbrauchen, ohne harte Sanktionen fürchten zu müssen. 

Das geht aus einem neuen Bericht über sexuellen Missbrauch im Bistum hervor, den Historiker am Mittwoch vorgestellt haben. Pfarrer V. inszeniert sich in den 1990er-Jahren als selbstloser Helfer in der Ukraine. Doch hinter der Maske des Wohltäters versteckt sich ein Sexualstraftäter. In mindestens 28 Fällen soll sich der Priester an Kindern vergangen haben.Im November 1994 verurteilt ihn das Amtsgericht Saarbrücken zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Im Bistum sind die Vorwürfe damals bekannt. Verantwortlich: Der damalige Trierer Bischof Hermann Josef Spital. Er beurlaubt V. zunächst, schickt ihn dann in Therapie und versetzt ihn schließlich in die Ukraine zum Hilfswerk Renovabis, dem Osteuropa-Hilfswerk der katholischen Kirche.Typischer Umgang mit MissbrauchstäternDer Fall ist offenbar beispielhaft für den Umgang von Bischof Hermann Josef Spital mit Straftätern in den eigenen Reihen. Das geht auch aus dem neuen Zwischenbericht hervor, den Historiker der Universität Trier am Mittwochnachmittag vorgestellt haben. Spital war von 1981 bis 2001 Bischof von Trier. 

1.000 Akten ausgewertet

Grundlage bilden mehr als 1.000 ausgewertete Akten und 20 Gespräche mit Betroffenen und Zeitzeugen, die die Wissenschaftler vom "Projekt zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Bistum Trier" geführt haben. Damit wollten die Wissenschaftler Licht ins Dunkel der Jahre 1981 bis 2001 bringen - in die Missbrauchsfälle während der Amtszeit von Bischof Hermann Josef Spital. Vergangenes Jahr hatten sich die Fachleute bereits mit Bischof Bernhard Stein befasst, der von 1967 bis 1981 Missbrauchstaten von Priestern vertuscht haben soll.

Versetzen statt bestrafen

Doch auch in der Zeit danach sei der Umgang der Kirche mit Missbrauchstätern "befremdlich" gewesen, wie es im Bericht heißt. Anfänglich hätten der Bischof und die eingeweihten Geistlichen die Straftaten als Bagatellen bewertet. Manchmal wurden die Täter ins Ausland geschickt.

Ab den 1990er-Jahren gab es Therapien für die Missbrauchspriester

Zur Anzeige gebracht wurde in dieser Zeit allerdings keine einzige Tat von der Kirche. Und so seien manche Täter laut Bericht immer wieder rückfällig geworden. 

Mehrere Intensivtäter mit mehr als zehn Opfern

49 Beschuldigte konnten die Wissenschaftler ausmachen, 194 Betroffene identifizieren, vor allem kleine Jungen. Das sind zwar etwas weniger als in der Ära Bernhard Stein. Dafür habe es aber eine Reihe von Intensivtätern gegeben, die mehr als zehn Opfer missbraucht haben, weitestgehend unbehelligt von ihren Vorgesetzten. 

"Entsprechend große moralische Schuld lastet auf ihnen", heißt es im Bericht wörtlich. Da wäre zum Beispiel der Priester Claus Weber, der sich seit 1978 in Trier und später in seinen Waisenhäusern in Bolivien immer wieder an Kindern vergangenen hat - und das ohne dass jemand eingeschritten wäre. Oder auch Edmund Dillinger, der saarländische Priester, der über Jahrzehnte hinweg mindestens 19 Menschen missbraucht haben soll. Beide starben, bevor die Vorwürfe öffentlich bekannt wurden. Sie mussten weder kirchenrechtliche noch strafrechtliche Verfolgung fürchten. 

Folge von Missbrauch: Depression, Angst, Selbstmord

Ihre Opfer hingegen leiden bis heute, heißt es in dem Bericht der Wissenschaftler. Ein Teil der Betroffenen sei durch die Taten traumatisiert worden. Typische Diagnosen sind: Depressionen, Angst- und Persönlichkeitsstörungen, Alkohol- und Drogensucht. Drei Menschen hätten sich kurz nach den Taten das Leben genommen. 

Bischöfe haben Missbrauch offenbar unterschätzt

Hat der frühere Bischof Hermann Josef Spital daran eine Mitschuld? Auch darauf gehen die Autoren im Bericht ein. Sie schreiben, Spital habe nach ihren Erkenntnissen keine Taten aktiv vertuscht. Er habe die Gefahr durch die Täter aber unterschätzt und den Priestern zu viel Vertrauen geschenkt. Sein Verhalten bewerten die Wissenschaftler im Rückblick als "völlig unangemessen angesichts des hohen Rückfallrisikos gerade von Intensivtätern".

Keine gute Rolle hatte offenbar auch Weihbischof Leo Schwarz gespielt. Er soll persönliche Verbindungen zu den beschuldigten Priestern gehabt haben - zum Beispiel zu Claus Weber. Und das habe sein Urteilsvermögen getrübt

Bischof Spital und Weihbischof Schwarz genossen in Trier einen guten Ruf. "Ein Vorbild, ein überzeugender geistlicher Mensch, der mit ganzer Kraft für die Kirche gearbeitet hat" - so spricht der damalige Trierer Bischof Reinhard Marx noch 2007 über seinen gerade verstorbenen Vorgänger. Spital setzte sich für Arbeitslose und in der Friedensbewegung ein. Er galt als liberal und sozial engagiert. Wie falsch der Umgang der beiden mit Missbrauchspriestern war, zeigt der Fall V. in der Ukraine. Trotz Therapie und Versetzung hörte der Priester nicht auf. Er missbrauchte laut Bericht in der Ukraine zwei Jungen im Alter von 13 und 16 Jahren.

Wissenschaftler wollen auch Rolle von Bischof Ackermann untersuchen

Der aktuelle Bericht soll noch nicht der Abschluss der Aufarbeitung sein. Auch die Amtszeiten der Trierer Bischöfe Reinhard Marx und Stephan Ackermann wollen die Wissenschaftler untersuchen. ("tagesschau.de")