Freitag, 10. Mai 2024

Saarbrücker Generalstaatsanwalt (CDU): "Ich bedauere dieses Vorgehen". Ob er sich über die Folgen der Aktenvernichtung in der "causa Dillinger" bewusst war?

Generalstaatsanwalt Dr. M. Kost

(Foto Ruppenthal, SZ)

Generalstaatsanwalt M. Kost am 14. Juli 2024: 

"Ich bedauere dieses Vorgehen und möchte mich dafür entschuldigen."


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 Auszug aus dem "Vorläufiger Abschlussbericht der wissenschaftlichen Studie zu den Umständen des Falles Edmund Dillinger" (vorgestellt am 07.05.2024):

"5.2.2.2.2 Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft Saarbrücken gegen einen Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Saarbrücken 

Die Generalstaatsanwaltschaft Saarbrücken hat in einem Vorgang mit dem Aktenzeichen 303 Js 148/23 geprüft, ob gegen einen Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Saarbrücken wegen dessen Anordnung der Vernichtung von Asservaten in einem Vorermittlungsverfahren zur Prüfung eines Anfangsverdachts verfolgbarer Missbrauchstaten etwaiger Tatbeteiligter D.s ein Verfahren einzuleiten sei. Mit Verfügung vom 29.01.2024 lehnte die Behörde die Aufnahme von Ermittlungen ab, „weil nach dem Ergebnis der Vorprüfungen kein Anfangsverdacht der Begehung einer Straftat durch den Staatsanwalt“ bestehe.

Wesentlicher Geschichtspunkt war nach dem Inhalt der Pressemitteilung, dass der Staatsanwalt aufgrund einer Mitteilung des polizeilichen Ermittlungsführers, der die Asservate ausgewertet und im Zeitpunkt der Vernichtungsanordnung in Besitz gehabt habe, davon habe ausgehen können, dass die betreffenden Asservate für den Gegenstand der staatsanwaltschaftlichen Untersuchung nicht mehr von Bedeutung seien und der letzte Gewahrsamsinhaber und Eigentümer der Asservate, bei dem es sich um D.s Neffen gehandelt habe, gegenüber dem polizeilichen Ermittlungsführer telefonisch auf deren Rückgabe ausdrücklich verzichtet habe. Ausgehend von diesem Wissensstand des Staatsanwalts habe die Anordnung der Vernichtung der Asservate im Einklang mit der Rechtslage gestanden. Die Vorermittlungen hätten auch berücksichtigt, dass die Unabhängige Aufarbeitungskommission im Bistum Trier vor der Vernichtungsanordnung ein Akteneinsichtsgesuch gestellt habe. Eine strafrechtliche Relevanz folge hieraus nicht. Den Inhalt und den Beweiswert der Kalender hatten wir im 2. Zwischenbericht ausführlich dargestellt und anhand von Lichtbildern veranschaulicht. Es spricht alles dafür, dass die vernichteten mit der gleichen Ausführlichkeit wie die zwei noch erhaltenen Kalender geführt und daher entgegen der Einschätzung des ermittelnden Polizeibeamten einen hohen Erkenntniswert gehabt hätten. Bemerkenswert ist dabei auch, dass nach dem Inhalt der Vermerke des Beamten die „Jahreskalender in Buchform von 1967 bis 2021“ in D.s Haus sichergestellt worden seien. 

Davon seien „oberflächlich ausgewertet (worden) die Kalender 2013 und 2016“.

Diese Darstellung überrascht, weil ausweislich der Akten der Staatsanwaltschaft Mainz die Kalender 2013 und 2016 am 21.04.2023 im Haus des Neffen sichergestellt und zu den Akten der Staatsanwaltschaft Mainz genommen wurden. Sie sind deshalb nach Aktenlage von der saarländischen Polizei überhaupt nicht in Augenschein genommen worden, weil völlig fern liegt, dass sich der Beamte nach Mainz begeben haben könnte, um die Kalender dort einzusehen. Für uns ist damit sehr wahrscheinlich, dass die Staatsanwaltschat Saarbrücken die Vernichtungsanordnung und die Einstellungsverfügung getroffen hat, ohne selbst einen Blick in die Beweismittel geworfen zu haben. Die Einschätzung des Polizeibeamten, die ebenfalls nur zum Teil auf eigener Anschauung beruhte, dürfte vorbehaltlos übernommen worden sein. Daraus folgt:

  1. Mit der Vernichtungsanordnung hat die Staatsanwaltschaft unser Akteneinsichtsgesuch nach unserer Auffassung bewusst übergangen und als mögliche Folge die Aufarbeitung in weiten Teilen vereitelt.
  2. Gegenstand der wissenschaftlichen Aufarbeitung ist auch die Suche nach Betroffenen, damit diesen eine ihnen zustehende Entschädigung gewährt werden kann. Die vernichteten Kalender wären für die betroffenen Opfer wichtige Beweismittel zum Beleg ihrer Ansprüche gewesen.
  3. Der Inhalt der Kalender hätte die Grundlage für erfolgreiche Ermittlungen in dem neuen Verfahren der Generalstaatsanwaltschaft Saarbrücken sein können. Ohne die Kalender dürften diese Ermittlungen zumindest erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht worden sein."

Vor diesem Hintergrund könnte es sich bei den Kalendern um sog. Zufallsurkunden i.S.v. §§ 267, 274 Abs.1 Nr. 1 StGB gehandelt haben.324 Deren vorsätzliche Vernichtung ist nach § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar, wenn die Urkunde dem Täter nicht gehört. Zur Entscheidung der Frage, wem eine Urkunde gehört, kommt es bei § 274 StGB aber nicht auf die Eigentumsverhältnisse, sondern darauf an, wer berechtigt ist, mit der Urkunde Beweis zu führen. Das wiederum können Personen sein, die einen Anspruch auf Herausgabe oder Einsicht in die Schriftstücke haben. Die – mögliche - Zustimmung des Erben war deshalb für diesen Tatbestand belanglos.

Anhand des Inhalts der oben zitierten Pressemitteilung können wir nicht beurteilen, ob und inwieweit diese Überlegungen in die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Saarbrücken eingeflossen sind. Unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung der Vernichtung drängt sich uns der Eindruck einer sachwidrigen, der Brisanz des Falles nicht gerecht werdenden, oberflächlichen Bearbeitung des Vorermittlungsverfahrens durch die Ermittlungsbehörden des Saarlandes auf."


Quellen: "Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen im Bistum Trier -Vorläufiger Abschlussbericht der wissenschaftlichen Studie zu den Umständen des Falles Edmund Dillinger ", Die Zeit", "Saarbrücker Zeitung"