In den 1960ern wurde der Seelsorger Dillinger erstmals wegen eines sexuellen Übergriffs aktenkundig. Ein Bericht wirft dem Bistum Trier nun vor, nicht angemessen reagiert zu haben. Auch bei der Staatsanwaltschaft gab es Versäumnisse.
Am Ende umfasst der dritte und vorläufig letzte Bericht noch einmal 96 Seiten. Die ehemaligen Staatsanwälte Ingo Hromada und Jürgen Brauer hatten im Auftrag einer Unabhängigen Aufklärungskommission ein Jahr lang drei Ermittlungsakten von Staatsanwaltschaften, mehr als 4.000 Fotos, mehrere Tausend Seiten Aufzeichnungen und Publikationen von Edmund Dillinger durchforstet. Sie folgten den meist vagen Hinweisen durch Westdeutschland, nach Frankreich, nach Afrika.50 Betroffene hatten Hromada und Brauer interviewt. Zeugen, die Dillinger als Studentenseelsorger, als Pfarrer, als Religionslehrer oder im Rahmen der Afrikahilfe kennengelernt hatten.
Mindestens 19 Opfer sexualisierter Gewalt
Konkret sind die Hinweise jedoch selten, oft handelt es sich um eine Charakterbeschreibung. Dillinger gelte als egozentrisch und habe mit seinem Kontakten zu Prominenten und hohen kirchlichen Würdenträgern geprahlt. Zeugen beschreiben ihn als "stockkonservativ". Er habe Homosexualität verteufelt, sie aber selbst freizügig ausgelebt." Sehr viele, nach ihrer Anzahl aber nicht annähernd zu beziffernde Personen" seien von einem sexuell motiviertem Verhalten Dillingers betroffen gewesen. Sie seien in sexualisierten Posen fotografiert und berührt worden, hätten Annäherungsversuche abwehren müssen. Bei 19 Personen spricht der Bericht konkret von "sexuellem Missbrauch in verschiedenen Schweregraden". Acht Betroffene konnten jedoch nicht eindeutig identifiziert werden - auch weil viele Zeugen keine Namen nennen wollten. Die Taten sollen zwischen 1961 und 2018 stattgefunden haben.1964 wurde Dillinger zum ersten Mal beim Bistum Trier aktenkundig, nachdem er zwei Jungen am Oberschenkel berührt haben soll. 1970 soll er sich dann bei einer Romreise an einem 15-Jährigen vergangen haben. Er soll Fotos des Geschlechtsteils des Jugendlichen gemacht und es daraufhin auch angefasst haben.1972 soll er einen weiteren jungen Mann in offensichtlich sexualisierter Pose fotografiert und das Foto an eine Agentur verkauft haben. Gegen den Willen des Opfers wurde das Bild schließlich in einer Erotik-Zeitschrift für Homosexuelle abgedruckt.
Harte Kritik an Bistum und Staatsanwaltschaft: Taten wurden vertuscht
In den aktenkundigen Fällen habe das Bistum Trier aber nicht angemessen reagiert, die Taten seien sogar vertuscht worden, so der Bericht. Man habe keinen Kontakt zu den Opfern gesucht, keine Aufklärung betrieben. Die Strafe, darunter zwei Wochen Kloster und die Versetzung ins Erzbistum Köln, sei nicht angemessen gewesen. Dillinger sei nach den ersten Vorwürfen zudem nicht ausreichend kontrolliert worden, obwohl eine Wiederholungsgefahr bestand. Hromada und Brauer kritisieren auch die "bedenkliche" Aktenführung des Bistums: Man habe acht Konvolute von unterschiedlichen Stellen der Bistumsleitung auswerten müssen. Die Dokumente sind dabei oft nicht mal chronologisch geführt worden.
Der Bericht sieht auch schwerwiegende Versäumnisse bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken. Die Behörde hatte im Juli 2023 große Teile der im Wohnhaus von Dillinger gefundenen Beweismittel, darunter akribisch geführte Kalender und Notizbücher aus mehreren Jahrzehnten, voreilig verbrennen lassen. Und das, obwohl Hromada und Brauer noch Tage zuvor ein Gesuch auf Akteneinsicht gestellt hatten. Der Antrag sei von der Staatsanwaltschaft aber "bewusst übergangen" und die Aufarbeitung "in weiten Teilen" vereitelt worden, so das Fazit der Ermittler.
Aktive Untersuchung eingestellt
Mit dem Abschlussbericht sind die Recherchen in Deutschland nun abgeschlossen - "vorbehaltlich noch eingehender Nachmeldungen von Zeugen". Eine Hoffnung, auf die sich gerade auch die Ermittlungen in Afrika stützen. Dillinger gründete in den 1970er Jahren einen Verein, die CV Afrika-Hilfe, und reiste mehrfach nach Kamerun und Togo - offenbar sogar unter dem Alias-Namen Eric Delay. Im Gegenzug nahm er junge afrikanische Studenten mit nach Deutschland oder nach Rom .Bei der Suche nach Zeugen und möglichen Opfern werden Hromada und Brauer vor allem von kirchlichen Einrichtungen unterstützt, etwa missio Aachen. Anfragen und Hilfsgesuche an das Auswärtige Amt seien hingegen mehrfach ignoriert worden.
Quelle: tagesschau.de