Eine ehemalige Schülerin der Schönstätter Marienschule in Vallendar (Kreis Mayen-Koblenz), das zum Bistum Trier gehört, bricht ihr Schweigen. Sie fordert eine finanzielle Entschädigung von dem für die Zahlung zuständigen Säkularinstitut Schönstätter Marienschwestern.
Ihren Fall schildert sie so: „Der Missbrauch durch den Lehrer geschah ab der 7. Klasse bis zur 9. Klasse, wenn ich mich nicht den ganzen Tag auf dem Klo oder hinter den Vorhängen der Aula versteckt habe, wöchentlich, teils auch mehrfach die Woche. Ich wurde mehrfach vergewaltigt. Mit 12 ! Die 8. Klasse habe ich zwei Mal gemacht. Das muss also so Anfang der 1980er Jahre gewesen sein. Ich habe dann in der 9. Klasse kein Wort mehr gesprochen, bin zum zweiten Mal sitzen geblieben und konnte die Schule verlassen…Das war meine Rettung. Anvertraut hab ich mich niemanden. Ich hatte panische Angst, und hab auch gedacht: Ist vielleicht meine Schuld. Und dass mir keiner glauben wird. Das Thema Missbrauch wurde in der Schule komplett unter den Teppich gekehrt.“
Die Folgen: „Ich war seit Teenagertagen richtig depressiv, immer wieder mal schwere, dann bessere Phasen. Nach dem Abi bin ich mit dem Auto meiner Mutter gegen einen Baum gefahren. Ich wollte einfach nur „weg“ sein. Parallel hab ich funktioniert, Schule, Studium, Ehe, Kinder. Ganz schlimm wurde das so etwa ab 2010, mit Panikattacken, lebensmüden Gedanken, schwerer Depression, dissoziativen Zuständen ..
Die Konsequenz: „2014 war ich das erste Mal in psychosomatischer Reha. Ich wusste einfach nicht, was mit mir los ist. Das Thema Schönstatt hab ich weit verdrängt. Seit 2014 war ich jetzt zehn Mal in der Klinik. Von 2019 bis 2022 allein insgesamt 27 Monate. Der Oberarzt der Klinik ist seither mein ambulanter Therapeut. Ich bin zu 90 Prozent schwerbehindert, nur noch begrenzt dienstfähig.“
Die ehemalige Schülerin entschließt sich, Schadenersatz einzufordern, damit sie ihre Therapiekosten decken kann, die ihr als Beamtin nur zum Teil erstattet werden. Ambulante Therapiestunden seien begrenzt, reichten aber für Traumatisierte oft nicht aus. Um ihren Anspruch durchzusetzen, müssen sich Missbrauchsopfer an die Unabhängige Kommission (UKA) mit Sitz in Bonn wenden. Diese nimmt die Anträge der Betroffenen über die Ansprechperson der Diözese oder der Ordensgemeinschaft entgegen. Der Psychologe rät ihr jedoch von diesem Gespräch ab. Er befürchtet eine Retraumatisierung. Stattdessen reicht sie ein Schreiben ihres Arztes ein. Schließlich legt die Bonner Kommission die Entschädigung auf 10.000 Euro fest. Die Frau legt Widerspruch ein. Die Summe spiegele nicht annähernd jenes Leid wieder, das ihr widerfahren sei.
Dr. Stefan Vesper unterstützt als Koordinator die Geschäftsstelle der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen. Er teilt dem Trierischen Volksfreund gegenüber zunächst mit, dass es stets um eine Einzelfallprüfung gehe. „Denn nur so kann man dem geschehenen Leid individuell gerecht werden.“ Pauschale Kategorien gebe es nicht.
Vesper: „Bei der Festsetzung der Leistungshöhen vergleicht die UKA das Geschehene mit Schadensersatzleistungen im weltlichen Bereich und ordnet die Taten, was die Höhe der Anerkennungsleistung angeht, am oberen Rand ein – wie es die Verfahrensordnung auch vorschreibt.“ Darüber hinaus spiele Dauer und Schwere der Misshandlung eine maßgebliche Rolle. Vesper schreibt: „Es geht wie gesagt um eine konkrete Einzelfallentscheidung, die gerade die Schwere der Tat und auch die langfristigen Folgen berücksichtigt. Hier ist natürlich auch das Alter der Betroffenen zum Zeitpunkt der Tat ein wichtiges Kriterium.“ Kern sei im gesamten Prozess der Einzelfallentscheidung das, was im Antrag geschildert sei. Aus dem Antrag entnehme die UKA bei ihrer Entscheidung alle Fakten und lege dann, im interdisziplinären Gespräch ihrer juristisch, ärztlich, psychotherapeutisch, traumatologisch kompetenten Mitglieder, die Höhe der Anerkennungsleistung fest.
Schlussendlich beantwortet Dr. Vesper die entscheidende Frage nach der Festlegung der Zahlungen so: „Die UKA berücksichtigt alles, was in der Verfahrensordnung vorgegeben ist. Wichtig ist aber auch im Vergleich zur staatlichen Gerichtsbarkeit: Im staatlichen Verfahren müssen die Betroffenen die Taten beweisen. Im kirchlichen System genügt es, dass die Schilderungen plausibel sind. Das ist ein wesentlicher Unterschied.“ Die Entscheidung, ob etwas plausibel sei, werde vor Ort und durch die unabhängigen Ansprechpartner/innen gefällt.
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