Dienstag, 1. Januar 2019

Bistum Trier - offener Brief an Bischof Ackermann zu seinen Äußerungen in der Silvesterpredigt 2018




 "Oft genug waren der verschwiegene Schmerz
 und die stille Enttäuschung der Opfer 
der Preis für das strahlende Bild von der Kirche:
 Ein hoher, ein zu hoher Preis.“

Bischof Ackermann, Silvesterpredigt 2018




Herr Bischof!



An erster Stelle gilt es festzuhalten, dass "der verschwiegene Schmerz und die stille Enttäuschung der Opfer" nicht in der Vergangenheit anzusiedeln sind. Wenn Sie an dieser Stelle das Präteritum als Zeitform wählen, bedeutet dies, dass Sie offensichtlich  davon ausgehen, der Schmerz und die Enttäuschung der Opfer gehöre der Vergangenheit an und sei abgeschlossen. 

Doch dem ist nicht so. - Im Gegenteil.

Unsereiner hat den sexuellen Missbrauch durch Priester im Bistum Trier überlebt.  Wir haben die Taten überlebt.  Doch nicht jeder Betroffene hat die Folgen der Taten überlebt.  Etliche von uns befinden sich seit dem Tatgeschehen im "Überlebensmodus", fernab von Lebendigkeit.  Einige von uns führen ein Leben in Ohnmacht und Starre. Beschädigt- und Ausgestoßensein. Die Hilflosigkeit und das Ausgeliefertsein von damals erleben viele von uns heute immer noch.   - Besonders hervorgerufen durch Ihren Umgang mit uns Betroffenen. Manche sprechen von einer dauerhaften Retraumatisierung, andere von Ausweglosigkeit, die durch Ihren Umgang mit uns Betroffenen und durch Ihren Umgang mit der Thematik "sexueller Missbrauch durch Angehörige der katholischen Kirche" im Allgemeinen ausgelöst wurde.  Entsetzen und Sprachlosigkeit herrschen auf unserer Seite. 

Einige von uns haben mehrjährige Therapien hinter sich, in denen es zum Beispiel darum ging, überhaupt den Lebenswillen wiederzufinden und nicht aufzugeben.  Manche von uns hatten Glück, und sie trafen auf einen Therapeuten, der ihnen weiterhelfen konnte.  Doch das Leben von vielen von uns ist weiterhin geprägt von Bindungsängsten, Beziehungsunfähigkeit,  Suchtproblemen, psychosomatischen Erkrankungen, ja,  bis hin zu schwersten Identitätsstörungen.  - Um nur einige Folgen zu nennen. Einige von uns beschreiben, dass sie schon lange nicht mehr "lebten". Sie existierten zwar, aber sie "lebten" nicht mehr.  

Beziehungen gingen und gehen auch heute noch in die Brüche, Familie zerbrachen und zerbrechen daran. Selbst die Beziehungen zu den eigenen Kindern leiden unter den Folgen der an den Eltern begangenen Taten.  

Aber auch die finanziellen Einbußen, die wir aufgrund der Verbrechen an uns erlitten, dürfen nicht verschwiegen werden. Viele von uns haben die Geschehnisse verdrängt bzw. abgespalten. Wir konnten zwar noch einen Beruf erlernen,  verfügen über hochqualifizierte Abschlüsse, doch viele von uns sind inzwischen weder berufs- oder arbeitsfähig. Als langfristige Folge der damals an uns begangenen Taten und: aufgrund des heutigen Umgangs mit uns.

Anstatt über die Betroffenen zu sprechen, sprechen Sie endlich mit ihnen! Fragen Sie nach, wie Sie ihnen helfen können. Ob durch Zuhören, sich Zeit für sie nehmen oder durch unbürokratische finanzielle Hilfen. Schauen Sie auf die einzelnen Schicksale der Betroffenen, deren Ursprung in dem sexuellen Missbrauch durch Angehörige der katholischen Kirche liegt! -  Es waren nicht nur die Taten von damals, die uns Betroffenen in diese Situation brachten. Es ist auch der heutige Umgang der Verantwortlichen mit uns Betroffenen, der die Wunden nicht heilen lässt.  Die Verantwortlichen, zu denen auch Sie gehören. 

Nein, Herr Bischof, der "verschwiegene Schmerz" und die "stille Enttäuschung" der Opfer gehören gewiss nicht der Vergangenheit an.  Im Gegenteil. Sie sind bei manchen von uns aktueller denn je. Der "verschwiegene Schmerz" ist übrigens einer von den Schmerzen, die auch Ihnen gegenüber bislang verschwiegen blieben. Dieser "verschwiegene Schmerz"  verbirgt sich nämlich hinter einer jener Geschichten, die zum Teil noch gar nicht erzählt werden können, weil  viele Betroffene es selbst noch nicht  einmal ertragen würden, sie zu hören. - Geschützt durch die Psyche.   Nein, Herr  Bischof Ackermann, Sie sollten sich zukünftig nicht mehr anmaßen,  unsere Schmerzen, unsere Enttäuschungen und unsere Gefühle in Worte zu fassen und mit Attributen zu versehen, um sie dann noch zu predigen. 


Um es mit den Worten von Kafka zu formulieren: 



"(...)  Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, 
was weißt Du von den Schmerzen, die in mir sind 
und was weiß ich von den Deinen. 
Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, 
was wüßtest Du von mir mehr als von der Hölle, 
wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich (...)"

Franz Kafka,1903



Der Preis,  den die Kirche für ihr strahlendes Bild bezahlte, waren übrigens wir Kinder, Herr Bischof. Der Preis war unser Lachen. Unser Vertrauen . Unsere Neugierde auf das Leben. Unsere Träume. Unsere Hoffnungen. - Mitunter unser Leben.

Ja, dieser Preis war zu hoch.




Claudia Adams