Der rechtliche Rahmen
Die Regeln sind eindeutig: Erhält ein Bischof eine Anzeige, muss er diese unverzüglich an das Bischofsdikasterium in Rom weiterleiten – über den Apostolischen Nuntius. Nur wenn eine Meldung offenkundig haltlos ist, darf er sie archivieren. Selbst in diesem Fall muss er Rom darüber informieren. Ackermann hat diese Hürde nicht gezogen. Er hat die Anzeige zur Prüfung an Rom weitergereicht.
Damit beginnt nun der offizielle vatikanische Verfahrensweg, der zwei mögliche Szenarien bietet:
Szenario A – Ackermann wird Ermittler
Falls das Bischofsdikasterium Ackermann den Auftrag erteilt, muss Ackermann selbst ermitteln:
- Offizieller Ermittlungsauftrag aus Rom
- Klare Fristsetzung (oft wenige Monate).
- Verpflichtung zur vollständigen Aufklärung.
- Vorbereitung und Strukturierung
- Ermittlungsplan erstellen.
- Relevante Unterlagen und Akten beschaffen.
- Auswahl und Terminierung von Zeugenbefragungen.
- Durchführung der Ermittlungen
- Sichern von Beweisen (Dokumente, elektronische Daten, Zeugenaussagen).
- Befragung von Zeugen, gegebenenfalls auch von Kardinal Woelki selbst.
- Wahrung strikter Neutralität.
- Regelmäßige Kommunikation mit Rom
- Zwischenberichte einreichen.
- Bei Bedarf vorbeugende Maßnahmen beantragen (selbst erlassen darf er keine).
- Abschlussbericht an das Bischofsdikasterium
- Vollständige Dokumentation aller Schritte.
- Klare Handlungsempfehlung für den weiteren Verlauf.
- Übergabe der Verantwortung an den Vatikan
- Rom entscheidet, ob es zu einem kirchenrechtlichen Prozess kommt.
- Bei einem Kardinal liegt die richterliche Entscheidung grundsätzlich beim Papst.
Szenario B – Ackermann wird nicht Ermittler
Falls Rom entscheidet, dass jemand anderes die Ermittlungen führt, zum Beispiel ein anderer Bischof, würden sich Ackermanns Aufgaben auf folgendes beschränken:
- Sofortige Übergabe aller Unterlagen
- Lückenlose, geordnete Weitergabe an den ernannten Ermittler.
- Kooperationspflicht
- Bereitstellung zusätzlicher Informationen auf Anfrage.
- Vermittlung von Zeugen oder Kontakten.
- Öffentliche Klarstellung
- Deutlich machen, dass er nicht ermittelt, sondern nur den formellen Übermittlungsweg eingehalten hat.
- Beobachterrolle
- Keine eigenen Ermittlungen, keine Entscheidungskompetenz.
- Dennoch im Blickfeld der Öffentlichkeit, weil er die Anzeige entgegengenommen hat.
- Konsequenz: Ackermann wäre hier deutlich weniger operativ eingebunden, bliebe aber als erster Ansprechpartner und „Startpunkt“ des Verfahrens im Fokus – und damit auch potenziell in der öffentlichen Kritik.
Ackermann bewegt sich ein weiteres Mal auf einem schmalen Grat. Selbst wenn er streng nach Vorschrift handelt, kann er in der öffentlichen Wahrnehmung an Glaubwürdigkeit verlieren – schlicht, weil die Erwartungen aus unterschiedlichen Richtungen unvereinbar sind.
Die Zwickmühlen des Bischofs Ackermann
Die aktuelle Situation bringt für Bischof Stefan Ackermann mehrere heikle Zwickmühlen mit sich. Jede Entscheidung, die er jetzt trifft – oder auch nicht trifft – kann ihm negativ ausgelegt werden.
Transparenz vs. Verschwiegenheit
Ackermann steht zwischen der Pflicht zur Verschwiegenheit und der Erwartung nach Transparenz. Das vatikanische Verfahren erlaubt es ihm nicht, frei über Inhalte oder Zwischenschritte zu sprechen. Gleichzeitig erwarten Betroffene und Öffentlichkeit klare Informationen. Wenn er zu wenig sagt, wirkt das schnell wie Vertuschung. Gibt er zu viel preis, kann er die Verfahrensregeln verletzen und das Verfahren beeinflussen.
Kollegialität vs. Unabhängigkeit
Ackermann befindet sich zudem im Spannungsfeld zwischen Kollegialität und Unabhängigkeit. Kardinal Woelki ist ein Mitbruder in der Bischofskonferenz, was eine kollegiale Verbindung mit sich bringt. Ackermann muss jedoch vollkommen unabhängig ermitteln. Zeigt er zu viel Distanz, könnte man ihm Illoyalität vorwerfen. Zeigt er zu viel Nähe, steht sofort der Verdacht der Parteilichkeit im Raum.
Pflicht zur Amtstreue vs. Erwartungen der Betroffenen
Ackermann muss zwischen der Pflicht zur Amtstreue und den Erwartungen der Betroffenen abwägen. Er ist verpflichtet, das Verfahren strikt nach den vatikanischen Vorgaben zu führen. Betroffene wünschen sich jedoch oft mehr Tempo, Transparenz und Mitwirkung. Wenn Ackermann sich strikt an die Regeln hält, könnte man ihm vorwerfen, die Interessen der Betroffenen zu ignorieren. Passt er sich zu sehr den Erwartungen an, riskiert er, gegen kirchenrechtliche Vorgaben zu verstoßen.
Langwierigkeit des Verfahrens vs. öffentlicher Druck
Ackerman kämpft zugleich mit dem Widerspruch zwischen der Langwierigkeit kirchlicher Verfahren und dem hohen öffentlichen Druck. Vatikanische Verfahren dauern oft Monate oder Jahre, während Medien und Betroffeneninitiativen schnelle Aufklärung fordern. Wenn er abwartet, wirkt er passiv. Wenn er Druck macht, kann er in Konflikt mit Rom geraten und Kompetenzen überschreiten.
Neutrale Ermittlung vs. Signalwirkung
Ackermann steht zwischen neutraler Ermittlung und öffentlicher Signalwirkung. Als Ermittler darf er sich inhaltlich nicht vorab positionieren. Diese notwendige Neutralität kann jedoch leicht als Gleichgültigkeit missverstanden werden. Gibt er ein deutliches Signal, könnte man ihm eine Vorverurteilung oder Parteinahme unterstellen.