Freitag, 26. Juli 2024

Bistum Trier: Trierer Bischof kritisiert Vorgänger Spital - oder: Die Geschichte vom Splitter und vom Balken und der Heuchelei



Ackermann kritisiert Spital:
  • Es habe zwischen 1981 und 2001 kein Verfahren gegen einen Täter gegeben
  • Der "pastorale Umgang" mit Verbrechen sei "verfehlt" worden
  • Machstrukturen in der Kirche hätte Missbrauch begünstigt und Ahndung verhindert
  • "Schutz der Institution hätte über den Rechten und Bedürfnissen von Betroffenen gestanden"
  • Weihbischof Leo Schwarz habe "falsch agiert"
  • Schwarz sei "unangemessen"  mit Missbrauchsfällen umgegangen
  • Schwarz habe sogar Verbrechen sexuellen Missbrauchs vertuscht (!)
  • Es habe eine zu große Empathie für die Priester-Täter gegeben
  • Die Sorge sei damals gewesen,  den Ruf der Priester und der Kirche zu schützen

Ich kritisiere Ackermann: 



"Du Heuchler, zieh am ersten den Balken aus deinem Auge,
 danach siehe zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst".

Bergpredigt, Matthäusevangelium, MT 7:5




"Der Trierer Bischof Stephan Ackermann hat seinen Vorgänger Hermann Josef Spital für dessen Umgang mit Missbrauchstätern kritisiert. Er bemängelte auch, dass es zwischen 1981 und 2001 kein Verfahren gegen einen Täter gegeben habe.

Diese fehlenden Verfahren sind Teil der Ergebnisse einer am Mittwoch vorgestellten wissenschaftlichen Studie. Ein "pastoraler Umgang" mit Verbrechen sei verfehlt, sagte Ackermann.

Die Untersuchung vermittelt das Ausmaß sexuellen Missbrauchs in der Ära Spital. Mindestens 49 Beschuldigte und mutmaßliche Täter in den Reihen der katholischen Kirche und 199 Betroffene hat es demnach in den 1980er und 1990er Jahren gegeben.

Forscher sprechen von einem Hellfeld und vermuten, dass die tatsächlichen Zahlen höher sind. Bei den Recherchen stießen die Studienautoren Lutz Raphael, Lena Haase und Alisa Alic auch auf drei Personen, die sich demnach in zeitlicher Nähe zur erlittenen sexualisierten Gewalt das Leben nahmen.

"Auch wenn die Umstände und Hintergründe dieser Suizide nicht mehr aufgeklärt werden können, so ist für mich diese Vorstellung unerträglich", so Ackermann. Er verwies darauf, dass hinter allen Zahlen immer Menschen stünden und sprach von einer schmerzlichen Erinnerung. Machtstrukturen in der katholischen Kirche hätten Missbrauch begünstigt und Aufklärung sowie Ahndung verhindert. Der Bischof versicherte, dass er sich dafür einsetze, dass Kirche ein sicherer Raum sei.

Die frühere Bistumsleitung wird in der Studie hinterfragt: "Während für die Aufklärung intern Sorge getragen wurde, so wurde die moralische Pflicht zu Anzeige und Information staatlicher Stellen vollständig vernachlässigt."

Zwar sei über eine unabhängige Kommission zur Prüfung der Vorwürfe gesprochen, diese aber nie eingerichtet worden. Laut Studie waren bereits der damaligen Bistumsleitung 20 der Beschuldigten bekannt.

Ackermann kritisierte vor diesem Hintergrund, dass unter Spital der Schutz der Institution über den Rechten und Bedürfnissen von Betroffenen gestanden habe. "Zudem zeigen die genannten Beispiele auf, dass die Fälle nicht konsequent in denselben Gremien bearbeitet wurden", sagte er. 

Auch Weihbischof Leo Schwarz, der übergangsweise das Bistum leitete, habe falsch agiert. Dessen Umgang mit Missbrauchsfällen bezeichnete Ackermann als unangemessen, er habe sogar Verbrechen sexuellen Missbrauchs vertuscht. Ackermann sprach von Empathie für die Priester-Täter und der Sorge, den Ruf der Priester und der Kirche zu schützen."  (Quelle: "domradio.de")



Bistum Trier: Stellungnahme von Bischof Stephan Ackermann zum Zwischenbericht

Stellungnahme von Bischof Stephan Ackermann zum Zwischenbericht

"Heute ist der zweite Zwischenbericht der von Prof. Dr. Lutz Raphael und Dr. Lena Haase durchgeführten historischen Untersuchung „Sexueller Missbrauch von Minderjährigen sowie hilfs- und schutzbedürftigen erwachsenen Personen durch Kleriker/Laien im Zeitraum von 1946-2021 im Verantwortungsbereich der Diözese Trier: eine historische Untersuchung“ vorgestellt worden, der die Amtszeit von Bischof Dr. Hermann Josef Spital (1981-2001) in den Blick nimmt. Das Projekt ist von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Verantwortungsbereich des Bistums Trier (UAK) initiiert.   

Der Bericht steht in der Spur des ersten Zwischenberichts vom Dezember 2022 und führt uns erneut auch den Umgang der Bistumsverantwortlichen mit (Verdachts-)Fällen sexuellen Missbrauchs vor Augen. Vor allem anhand der Fallbeispiele wird deutlich, wie Bischof Spital zusammen mit seinen Mitarbeitern agiert hat; aber auch die historisch-vergleichende Einordnung und der Blick auf das Umfeld von Betroffenen helfen, das Geschehene und die Fehler ansichtig zu machen.  

In dem Bericht werden auch wieder Zahlen aufgeführt. Sie dienen dazu, das sogenannte Hellfeld zu beziffern. Das ist wichtig und richtig. Sie erinnern mich aber noch einmal schmerzlich daran, dass hinter jeder dieser Zahlen ein Mensch, das heißt ein individuelles Schicksal steht. Dies wird besonders dort drastisch sichtbar, wo der Bericht die gravierenden Folgen des Missbrauchs für die Betroffenen darstellt und auch drei Personen erwähnt, die in zeitlicher Nähe zum erlittenen Missbrauch Suizid begangen haben (vgl. Bericht S. 13). Auch wenn die Umstände und Hintergründe dieser Suizide nicht mehr aufgeklärt werden können, so ist für mich diese Vorstellung unerträglich.  

Die vergleichende Einordnung zeigt, dass Bischof Spital anders als noch Bischof Stein sich stärker selbst mit den Fällen befasst hat und sich eine Hinwendung zu den Betroffenen erkennen lässt – auch wenn diese Kontakte nicht immer als empathisch beschrieben werden. Gezielte Vertuschung als Vorgehensweise sieht der Bericht für Bischof Spital nicht – doch immer noch stand der Schutz der Institution über den Rechten und Bedürfnissen der Betroffenen. Zudem zeigen die genannten Beispiele auf, dass die Fälle nicht konsequent in denselben Gremien bearbeitet wurden: Manche Fälle wurden in der Personalkommission beraten, andere im Bischofsrat. Hinzu kamen quälend lange Bearbeitungszeiten.  

Aus heutiger Sicht überraschend erscheint der Befund, dass Bischof Spital im Einklang mit dem Kirchenrecht handelte, das den Bischöfen den „Weg der Ermahnung und ‘des pastoralen Bemühens’ vor Ergreifung von Strafmaßnahmen explizit auferlegt[e]“ (vgl. Bericht S. 19/20). Diese pastorale Behandlung, die ich heute als falsche Nachgiebigkeit bezeichnen würde, hatte fatale Folgen. Ein pastoraler Umgang mit Verbrechen ist verfehlt. Dass es oft bei Ermahnungen, Auszeiten oder Versetzungen blieb, zeigt auch die Tatsache, dass es kein kirchenrechtliches Verfahren gegen einen Täter gab.   

Dazu passt die Beobachtung des Berichts, Bischof Spital habe sich als „ein Bischof [gezeigt], der zwar zu hartem Vorgehen gegen Priester bereit war, in Fällen von sexuellem Missbrauch jedoch scheinbar den Ernst der Lage nicht begriff“ (vgl. Bericht S. 66/67).  

Unter den Personen, die zur Amtszeit von Bischof Spital Verantwortung getragen haben, erwähnt der Bericht auch Weihbischof Leo Schwarz, der für unser Bistum, aber auch weit darüber hinaus, eine prägende Persönlichkeit war, die bis heute geschätzt wird. Durch sein Wirken im Bistum und sein starkes weltkirchliches Engagement hat Weihbischof Schwarz sich hohe Anerkennung erworben. Sein unermüdlicher Einsatz für die Armen und Benachteiligten, etwa in Lateinamerika, ist und bleibt unbestritten. Die Autoren der Untersuchung weisen im Zwischenbericht auch darauf hin, dass sie keine Gesamtbeurteilung des Lebens und Wirkens der untersuchten Bischöfe vornehmen (vgl. Bericht S. 65). Dennoch ist für Weihbischof Schwarz zu konstatieren, dass sein Umgang mit der Problematik des Missbrauchs unangemessen war. Wie der Fall D. und auch der Fall Claus Weber aufzeigen, hat Weihbischof Schwarz Verbrechen sexuellen Missbrauchs vertuscht, auch wenn ihm die fatalen Folgen seines Handelns möglicherweise nicht bewusst waren. Der Zwischenbericht belegt auch Kontakte des Weihbischofs mit Betroffenen und Empathie für die Personen. Doch die Empathie für die Priester-Täter und die Sorge, den Ruf der Priester und der Kirche zu schützen, waren ganz offenkundig stärker.    

Einmal mehr zeigt der Bericht, wie Kirchenbilder, Rollenverständnisse und Machtstrukturen in der katholischen Kirche Missbrauch begünstigt sowie Aufklärung und Ahndung verhindert haben. Das machte zugleich einen wirksamen Schutz von Kindern und Jugendlichen unmöglich. Diese Zusammenhänge lässt uns das laufende Aufarbeitungsprojekt immer detaillierter sehen. Auf dieser Grundlage will ich mich weiterhin zusammen mit den fachlich Verantwortlichen im Bischöflichen Generalvikariat und mit vielen Menschen in den Einrichtungen und an den Orten von Kirche in unserem Bistum dafür einsetzen, dass die Kirche einen sicheren Raum darstellt für die Menschen, die zu uns kommen.   

Welche Anstrengungen wir dazu unternehmen und wie wir die Hinweise umsetzen, die die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Verantwortungsbereich der Diözese Trier (UAK) uns gibt, dokumentieren wir seit letztem Jahr in den jährlichen Berichten zu Prävention - Intervention – Aufarbeitung (P.I.A.) (siehe Hilfe bei sexualisierter Gewalt (bistum-trier.de).
Der Bericht ist unter Aufarbeitungskommission: 2024 (bistum-trier.de) zu finden." (Quelle: "paulinus-bistumsnews.de")

  

Donnerstag, 25. Juli 2024

Bistum Trier: Fakten aus dem Bericht "Sexueller Missbrauch in der Amtszeit von Hermann Josef Spital" - Teil 1

- > Ich veröffentliche die Fakten aus dem Bericht dosiert (in mehreren Teilen), da es auch für mich eine große Belastung darstellt, das alles zu lesen.


Veränderte Lebensschicksale - 

 Einblick in die meist langfristigen Schädigungen und Beeinträchtigungen, mit denen die ermittelten Betroffenen als Erwachsene zu kämpfen hatten und haben.


  • Wichtig ist, sich der Tatsache bewusst zu sein, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen noch in den 1980er und 1990er Jahren in einer Gesellschaft lebten, die nur wenig Verständnis für die Beschädigungen aufbrachte, welche sexueller Missbrauch in der Psyche und der Physis von Kindern und Jugendlichen verursacht. Zudem besaßen nur wenige fundiertes Wissen über die langfristigen Folgen sexuellen Missbrauchs. Dies hat den Umgang aller  in diese Taten Verwickelten tiefgreifend geprägt – zu Lasten der Kinder und Jugendlichen. Ein Teil  der Betroffenen ist durch den sexuellen Missbrauch traumatisiert worden. Sie haben sich vor den gewalttätigen und angstauslösenden Geschehnissen, die ihr Selbst gefährdeten, geschützt, indem sie deren Spuren unzugänglich abspeicherten. Ihnen wurden erst viel später die Missbrauchstaten wieder bewusst, an deren Folgen sie bis dahin gelitten hatten. 
  • Eine Zahl mag diesen Zusammenhang verdeutlichen: Betroffene von Missbrauch zwischen 1980 und 2000 gehörten überwiegend Alterskohorten an, die zwischen 1970 und 1989 geboren worden sind. Nur bei 34  (!) von 172 ermittelten Personen dieser Altersgruppe wurden die Missbrauchsfälle zeitnah (sofort bis weniger als fünf  Jahre später) erkannt, viele der Betroffenen haben sich erst im mittleren und späteren Erwachsenenalter als Opfer von Missbrauchstaten selbst erkannt und dann anderen anvertraut.
  • Die Lebensschicksale dieser Menschen sind in ganz unterschiedlicher Weise und Härte vom sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit oder Jugend verändert worden. Missbrauchsfällen, die keine oder geringe körperliche, soziale oder psychische Beeinträchtigungen zeitigten, stehen die Fälle schwerer Beeinträchtigungen und langfristiger schwerer psychischer und körperlicher Leiden gegenüber.
  • Wir haben zum einen Betroffene ermittelt, die als Schülerinnen oder Schüler beziehungsweise Messdienerinnen und Messdiener Opfer einmaliger sexueller Übergriffe oder Grenzüberschreitungen durch Priester geworden waren. Wenn sie das Glück hatten, dass sie als Teil einer größeren Gruppe von Betroffenen noch in direkter zeitlicher Nähe zu den Übergriffen als Opfer identifiziert worden waren und dies zeitgenössisch zur Anzeige kam, sorgten strafrechtliche Verfahren, schützende Maßnahmen der Erwachsenen und kirchliche Maßnahmen wie Versetzung der Täter dazu, dass weitere Übergriffe gegen sie unterbunden wurden. Sie konnten beziehungsweise mussten zeitnah über den Missbrauch mit Eltern, Lehrern oder anderen erwachsenen Vertrauenspersonen sprechen. 
  • Vielfach konnten solche Kinder oder Jugendliche trotz ihrer Beschämung und ihres Schreckens ein normales Leben ohne größere Einschränkungen und Krankheiten führen. Dies gilt auch für eine kleinere Zahl von Betroffenen, die sich seit 2010 im Rahmen der kirchlichen Verfahren zur Anerkennung ihres Leids gemeldet haben und sich selbst als frei von langfristigen Schädigungen oder Erkrankungen erklärten. 
  • Diese „Resilienz“ hing von vielen weiteren situativen Umständen, aber auch günstigen Voraussetzungen ab, auf die die Kinder selbst aufgrund ihrer psychischen oder physischen Konstitution zurückgreifen konnten.
  • Viele der von uns ermittelten Betroffenen waren in ihrem weiteren Leben auf therapeutische Hilfe angewiesen. Sie profitierten davon, dass seit den 1990er Jahren Traumatisierungen durch sexuellen Missbrauch anerkannt und nach und nach in der Region gezielte traumatherapeutische Angebote für die Betroffenen bereitgestellt und von den Krankenkassen auch bewilligt und finanziert worden sind. Dabei handelte und handelt es sich oft um langjährige intensive Therapien, bei denen es neben der Behandlung der meist „komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung“ auch um die Linderung der daraus resultierenden psychosomatischen Beschwerden geht. Typisch waren und sind Depressionen, Angststörungen und Persönlichkeitsstörungen bis hin zu „dissoziativen Identitätsstörungen“.
  • Besondere Belastungen bis hin zu lebenslangen Schädigungen erlitten Kinder und Jugendliche, die über längere Zeit durch Priester missbraucht worden sind und die von den Tätern gezielt und erfolgreich psychisch abhängig gemacht worden sind.
  • In der Amtszeit von Bischof Spital waren mehrere Täter im Kirchendienst tätig, die mal subtile, mal gewalttätige Strategien der Verführung und der Vereinnahmung entwickelten, um ihre Opfer (viele im Alter zwischen 9 und 16) über Jahre hinweg zu dienstbaren Objekten ihrer sexuellen Befriedigung zu machen. 
  • Die Situation der Kinder und Jugendlichen schildert exemplarisch ein Betroffener in einem Brief an das Bistum Trier. Er war zwischen 1982 bis 1987 im Alter von 11 bis 16 vom Pfarrer seiner Gemeinde sexuell missbraucht worden. Der Täter hatte ihn gezielt verführt und dann eng an sich gebunden, und sorgte umsichtig und gezielt für Orte und Gelegenheiten, um seinen sexuellen Missbrauch auszuleben. Leider kamen ihm bei seinem pädokriminellen Tun auch Amtsbrüder zur Hilfe, die über seine Körperkontakte zu dem Messdiener in ihrer Gegenwart hinwegsahen oder aber als Beichtväter die Ängste und Nöte des Jungen noch steigerten (!)  (Es folgen Zeilen aus dem Brief des Betroffenen, Anmerk. ca)
  • Für die Amtszeit von Bischof Spital haben wir mindestens 148 Personen ermittelt, die von solchen Intensivtätern missbraucht wurden und von denen viele beziehungsweise die meisten über mehrere Jahre anhaltenden sexuellen Missbrauch mit psychischer Abhängigkeit erlitten.

  • Für viele von ihnen war der Weg aus dieser Falle:
    • oft schwer und schmerzhaft,
    • er war begleitet von Schuldgefühlen, Suizidgedanken, Phasen schulischen Versagens, Zeiten intensiven Alkohol- oder Drogenkonsums.
    • Die Wege zu Schulabschlüssen und Berufswahl wurden länger, zuweilen auch weniger erfolgreich;
    • Partnerschaften waren für sie schwer, für einige unmöglich
    • Diffuse psychosomatische Beschwerden wurden typische Begleiterscheinungen ihres Erwachsenenlebens.
    • Die Gespräche mit Betroffenen zeigen immer wieder die vielen subtilen, aber nachhaltigen Beschädigungen, die sich gerade aus solchen mehrere Jahre andauernden Missbrauchsgeschehen ergeben haben.
    • Arbeitsunfähigkeit aufgrund dieser Beschwerden und Frühverrentungen aufgrund von Berufsunfähigkeit sind in den Akten immer wiederkehrende Folgen.
    • Für viele Betroffene haben die öffentliche Aufarbeitung und die konkrete Aufdeckung von Täterlaufbahnen dauerhaft entlastende Wirkung gezeigt, da sie nun die Täter benannt, die Gefahren für Kinder und Jugendliche heute bekämpft und die Anerkennung ihres Leids als einen meist kleinen Schritt zu später Gerechtigkeit, vor allem aber lebenspraktischer Hilfe und Unterstützung erfahren haben.

______________________________________________________


Bei unseren Recherchen sind wir auch in den Betroffenen- und Zeitzeugenberichten auf drei Personen aufmerksam gemacht worden, die in zeitlicher Nähe zum erlittenen sexuellen Missbrauch Selbstmord begangen haben. Umstände und Hintergründe dieser Suizide können nicht mehr aufgeklärt werden. Sie werden an dieser Stelle unseres Berichts aber erwähnt, weil diese Extremfälle deutlich machen, welche tiefgreifenden seelischen Nöte und psychischen Schädigungen durch den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen entstehen konnten. 

Für diese Jugendlichen kam jede Hilfe zu spät.





_______________________________________________________



Viele der Betroffenen stammten aus katholischen Elternhäusern

Schließlich ist auf die religiösen Folgen einzugehen, die sexueller Missbrauch für die von uns ermittelten Betroffenen hatte. Von ihnen stammten viele aus katholischen Elternhäusern, die mehr oder weniger eng am Leben ihrer Gemeinde partizipierten. Immer wieder sind wir auf Berichte gestoßen, dass auch in den 1980er Jahren betroffene Kinder streng katholisch erzogen worden waren und ihre Eltern sexuelle Verfehlungen der ihnen bekannten Ortsgeistlichen schlichtweg leugneten beziehungsweise für undenkbar erklärten. 

So wurden diese Kinder Opfer von Tätern, die zu ihren Autoritäts- und Vertrauenspersonen zählten. Als Kinder und Jugendliche gehörten diese zum engeren zuweilen sogar zum engsten Kreis der in der katholischen Jugendarbeit Aktiven. Sakristeien, Pfarrhäuser, Wohnungen von Kaplänen und Pfarrern, Hotelzimmer bei Jugendfreizeiten wurden für sie zu Tatorten und die meisten verloren dort auch ihr Vertrauen in kirchliche Autoritäten. 

Einige gaben dann auch ihren katholischen Glauben auf beziehungsweise verloren ihn zusammen mit dem missbrauchten Vertrauen in katholische Priester. Aber auch wenn sie längst aus der Kirche ausgetreten waren, wandten sie sich nach 2010 angesichts der öffentlichen Empörung über die jahrzehntelange Vertuschung der Missbrauchsfälle an „ihr“ früheres Bistum, um dort wenigstens Anerkennung ihres Leids zu erwirken.

Dem steht die Gruppe derer gegenüber, die an ihrem katholischen Glauben festhielten, ja in einigen Fällen auch als Erwachsene sich weiter ehrenamtlich für kirchliche Aufgaben und Belange engagierten. Eine kleine Zahl schlug sogar kirchennahe oder kirchliche Berufskarrieren ein. Für sie alle war und ist ihr Heraustreten aus der Anonymität ihres persönlichen Leids zugleich auch ein Kampf für die Offenlegung der Versäumnisse der Verantwortlichen im Bistum und darüber hinaus um die moralische und organisatorische Erneuerung der katholischen Kirche geworden.


Mittwoch, 24. Juli 2024

Bistum Trier: mindestens 199 Opfer sexuellen Missbrauchs durch katholische Priester zwischen 1981 und 2001 - mindestens drei Opfer suizidierten sich unmittelbar nach den Taten

Auch in der Amtszeit von Bischof Hermann Josef Spital konnten Priester offenbar Kinder missbrauchen, ohne harte Sanktionen fürchten zu müssen. 

Das geht aus einem neuen Bericht über sexuellen Missbrauch im Bistum hervor, den Historiker am Mittwoch vorgestellt haben. Pfarrer V. inszeniert sich in den 1990er-Jahren als selbstloser Helfer in der Ukraine. Doch hinter der Maske des Wohltäters versteckt sich ein Sexualstraftäter. In mindestens 28 Fällen soll sich der Priester an Kindern vergangen haben.Im November 1994 verurteilt ihn das Amtsgericht Saarbrücken zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Im Bistum sind die Vorwürfe damals bekannt. Verantwortlich: Der damalige Trierer Bischof Hermann Josef Spital. Er beurlaubt V. zunächst, schickt ihn dann in Therapie und versetzt ihn schließlich in die Ukraine zum Hilfswerk Renovabis, dem Osteuropa-Hilfswerk der katholischen Kirche.Typischer Umgang mit MissbrauchstäternDer Fall ist offenbar beispielhaft für den Umgang von Bischof Hermann Josef Spital mit Straftätern in den eigenen Reihen. Das geht auch aus dem neuen Zwischenbericht hervor, den Historiker der Universität Trier am Mittwochnachmittag vorgestellt haben. Spital war von 1981 bis 2001 Bischof von Trier. 

1.000 Akten ausgewertet

Grundlage bilden mehr als 1.000 ausgewertete Akten und 20 Gespräche mit Betroffenen und Zeitzeugen, die die Wissenschaftler vom "Projekt zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Bistum Trier" geführt haben. Damit wollten die Wissenschaftler Licht ins Dunkel der Jahre 1981 bis 2001 bringen - in die Missbrauchsfälle während der Amtszeit von Bischof Hermann Josef Spital. Vergangenes Jahr hatten sich die Fachleute bereits mit Bischof Bernhard Stein befasst, der von 1967 bis 1981 Missbrauchstaten von Priestern vertuscht haben soll.

Versetzen statt bestrafen

Doch auch in der Zeit danach sei der Umgang der Kirche mit Missbrauchstätern "befremdlich" gewesen, wie es im Bericht heißt. Anfänglich hätten der Bischof und die eingeweihten Geistlichen die Straftaten als Bagatellen bewertet. Manchmal wurden die Täter ins Ausland geschickt.

Ab den 1990er-Jahren gab es Therapien für die Missbrauchspriester

Zur Anzeige gebracht wurde in dieser Zeit allerdings keine einzige Tat von der Kirche. Und so seien manche Täter laut Bericht immer wieder rückfällig geworden. 

Mehrere Intensivtäter mit mehr als zehn Opfern

49 Beschuldigte konnten die Wissenschaftler ausmachen, 194 Betroffene identifizieren, vor allem kleine Jungen. Das sind zwar etwas weniger als in der Ära Bernhard Stein. Dafür habe es aber eine Reihe von Intensivtätern gegeben, die mehr als zehn Opfer missbraucht haben, weitestgehend unbehelligt von ihren Vorgesetzten. 

"Entsprechend große moralische Schuld lastet auf ihnen", heißt es im Bericht wörtlich. Da wäre zum Beispiel der Priester Claus Weber, der sich seit 1978 in Trier und später in seinen Waisenhäusern in Bolivien immer wieder an Kindern vergangenen hat - und das ohne dass jemand eingeschritten wäre. Oder auch Edmund Dillinger, der saarländische Priester, der über Jahrzehnte hinweg mindestens 19 Menschen missbraucht haben soll. Beide starben, bevor die Vorwürfe öffentlich bekannt wurden. Sie mussten weder kirchenrechtliche noch strafrechtliche Verfolgung fürchten. 

Folge von Missbrauch: Depression, Angst, Selbstmord

Ihre Opfer hingegen leiden bis heute, heißt es in dem Bericht der Wissenschaftler. Ein Teil der Betroffenen sei durch die Taten traumatisiert worden. Typische Diagnosen sind: Depressionen, Angst- und Persönlichkeitsstörungen, Alkohol- und Drogensucht. Drei Menschen hätten sich kurz nach den Taten das Leben genommen. 

Bischöfe haben Missbrauch offenbar unterschätzt

Hat der frühere Bischof Hermann Josef Spital daran eine Mitschuld? Auch darauf gehen die Autoren im Bericht ein. Sie schreiben, Spital habe nach ihren Erkenntnissen keine Taten aktiv vertuscht. Er habe die Gefahr durch die Täter aber unterschätzt und den Priestern zu viel Vertrauen geschenkt. Sein Verhalten bewerten die Wissenschaftler im Rückblick als "völlig unangemessen angesichts des hohen Rückfallrisikos gerade von Intensivtätern".

Keine gute Rolle hatte offenbar auch Weihbischof Leo Schwarz gespielt. Er soll persönliche Verbindungen zu den beschuldigten Priestern gehabt haben - zum Beispiel zu Claus Weber. Und das habe sein Urteilsvermögen getrübt

Bischof Spital und Weihbischof Schwarz genossen in Trier einen guten Ruf. "Ein Vorbild, ein überzeugender geistlicher Mensch, der mit ganzer Kraft für die Kirche gearbeitet hat" - so spricht der damalige Trierer Bischof Reinhard Marx noch 2007 über seinen gerade verstorbenen Vorgänger. Spital setzte sich für Arbeitslose und in der Friedensbewegung ein. Er galt als liberal und sozial engagiert. Wie falsch der Umgang der beiden mit Missbrauchspriestern war, zeigt der Fall V. in der Ukraine. Trotz Therapie und Versetzung hörte der Priester nicht auf. Er missbrauchte laut Bericht in der Ukraine zwei Jungen im Alter von 13 und 16 Jahren.

Wissenschaftler wollen auch Rolle von Bischof Ackermann untersuchen

Der aktuelle Bericht soll noch nicht der Abschluss der Aufarbeitung sein. Auch die Amtszeiten der Trierer Bischöfe Reinhard Marx und Stephan Ackermann wollen die Wissenschaftler untersuchen. ("tagesschau.de")

Freitag, 5. Juli 2024

Bistum Trier: Jahresbericht zur Aufarbeitung und Verhinderung von Missbrauchsfällen für 2023 vorgestellt: Mindestens 9 (!) weitere verstorbene Priester und Ordensspriester des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Weitere 10 (!) beschuldigte noch lebende Kleriker oder Angestellte in Pfarreien und Einrichtungen des Bistums!

Heute hat das Bistum Trier seinen "Jahresbericht 2023 Prävention - Intervention - Aufarbeitung" vorgestellt:


Beschuldigungen gegen lebende Personen

  • 2023 beschäftigte sich der Krisenstab mit 10 Beschuldigungen zu Missbrauch durch lebende Kleriker oder Angestellte in den Pfarreien und Einrichtungen des Bistums
  •  Bei den Beschuldigten handelt es sich um 8 Pfarrer (davon 5 im Ruhestand) und einen Ordenspriester, die Aufgaben in der Pastoral im Bistum Trier wahrnehmen oder wahrgenommen haben
  • Die Beschuldigung gegen einen Laien wurde ebenfalls in der Verantwortung des Bistums untersucht. Zwar war dieser nicht in einer Einrichtung des Bistums tätig gewesen, gemäß kirchlichen Strafrechts wurde derjenige Ortsbischof beauftragt, in dessen Bistum die mutmaßliche Straftat begangen worden ist.
  • Drei Beschuldigungen bezogen sich auf aktuelle Vorfälle ab 2020, die anderen auf länger zurückliegende Delikte.
  • In sechs Fällen wurden erstmalig gegen den Beschuldigten Vorwürfe erhoben.
  • Zwei Beschuldigungen bezogen sich auf Taten gegen Erwachsene. 
  • Vier staatsanwaltliche Verfahren, die vor 2023 eröffnet worden waren, wurden 2023 eingestellt. 
  • Im Jahr 2023 wurden sechs Fälle an die Staatsanwaltschaft gegeben, wobei drei im gleichen Jahr wieder eingestellt wurden. 
  • Hinzu kommt ein noch laufendes Verfahren aus dem Jahr 2021. 
  • 2023 wurden fünf Voruntersuchungen abgeschlossen, die vor 2023 eröffnet worden waren.
  •  Fünf kirchenrechtliche Voruntersuchungen wurden eröffnet. 
  • Zwei Voruntersuchungen aus dem Jahr 2022 laufen weiter.
  •  Ein Pfarrer im Ruhestand wurde in 2023 von einem weltlichen Gericht rechtskräftig verurteilt.
  •  Es gab zwei laufende kirchliche Strafverfahren, die beide in 2023 abgeschlossen worden sind. 
  • In beiden Fällen haben die Priester Rekurs eingelegt. 
  • Von der Schwere her waren aktuelle Beschuldigungen eher im Bereich Grenzverletzungen und Übergriffe angesiedelt. Sie basierten auf frühzeitigen und schnellen Mitteilungen. 
  • Bei zurückliegenden Delikten ging es eher um schwere Formen sexualisierter Gewalt. Es wurden acht Erst-Anträge auf Anerkennung des Leids eingereicht.

Beschuldigungen gegen verstorbene Personen
  • 2023 gingen 9 (Erst-) Anträge aufgrund sexualisierter Gewalt durch verstorbene Kleriker oder Angestellte in den Pfarreien und Einrichtungen des Bistums ein. 
  • Bei den Beschuldigten handelte es sich um 8 Pfarrer (davon einer zum Zeitpunkt der Tat in einem Internat tätig) sowie um einen Ordenspriester im Gestellungsverhältnis
  • In zwei Fällen wurden erstmalig gegen den Beschuldigten Vorwürfe erhoben.
  •  Eine Beschuldigung bezieht sich auf eine Tat gegenüber einem Erwachsenen. 
  • Bis auf eine (aus dem Jahr 2001) beziehen sich alle Beschuldigungen auf Delikte, die im letzten Jahrhundert erstmalig verübt wurden.

An die Berufsgenossenschaft gemeldete Fälle: 

  • In 2023 wurden 66 Fälle (rückwirkend bis ins Jahr 1963) an die Berufsgenossenschaften gemeldet.


Anträge in Anerkennung des Leids

  • Im Jahr 2023 wurden Leistungen in Anerkennung des Leids für 26 Anträge in Höhe von insgesamt 485.500 € ausgezahlt (Erst- und Folgeanträge sowie Anträge nach Ziff. 12 der Verfahrensordnung (VerfO) Anerkennung des Leids).
  • Ein Erst- und ein Zweit-Antrag wurden durch die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen als sogenannte Härtefälle gewertet (größer/gleich 50.000 €); 
  • nimmt man die Widersprüche hinzu, sind es fünf.
  • Im Jahr 2021 wurden 84 Anträge eingereicht (davon 21 Erstanträge), 2022 waren es 26 (davon 22 Erstanträge), im Jahr 2023 waren es 22 Anträge (davon 19 Erstanträge)


Übernahme der Therapiekosten für das Jahr 2023

  • Im Jahr 2023 wurden Therapiekosten in Höhe von 36.579,22 € erstattet.

 EHS / Fonds Sexueller Missbrauch (FSM)

  • Im Rahmen des Ergänzenden Hilfesystems (EHS) wurden Leistungen in Höhe von 4.416,12 € übernommen.

Anerkennung des Leids seit 2010

  • Damit wurden insgesamt seit 2010 materielle Anerkennungen des Leides in Höhe von 2.702.000 € ausgezahlt sowie Therapiekosten in Höhe von 143.300,14 €.

Angemessene Sprache und vereinfachte Strukturen im Umgang mit Betroffenen:
Der durch rechtliche Regelungen vorgegebene Umgang mit Verfahren der Aufarbeitung wird z. T. als mangelnde Sensibilität oder gar Zynismus erlebt. Es wird daher angeregt, vereinfachte Strukturen
anzustreben und die Vorinformationen zu verbessern. So arbeiten die Verantwortlichen im Generalvikariat z. B. an einer Art „Leitfaden“, der die verschiedenen Verfahren benennt, erläutert und auf Ansprechpersonen hinweist. Es wird empfohlen, eine unabhängige Stelle einzurichten, die Betroffene im Sinne einer „Ombudsstelle“ bei den Prozessen begleitet.