Wenn man plötzlich den eigenen Täter im Fernsehen sieht
und das ehemalige Internat als "Juwel" bezeichnet wird
Täter in Großaufnahme / Quelle: SWR/RP
Der "SWR/ RP" berichtete am 19.12.2018 in seiner Sendereihe "Hierzuland" über
"Die Klosterstraße in Biesdorf". Das heutige Gymnasium wird darin als "Juwel" beschrieben und in den höchsten Tönen gelobt. Der "Geist von Biesdorf", "die familiäre und vertraute Atmosphäre, streng, aber auch gerecht", wird propagiert - und die Entstehungsgeschichte reflektiert.
Betroffene, ehemalige Schüler und deren Angehörige reagieren auf den Bericht mit Entsetzen: "Eine absolut kritikwürdige Verdrängung von Gewalt, Missbrauch und Misshandlungen durch damalige Ordensangehörige" im heutigen St.-Josef-Gymnasium in Biesdorf." Der Vorwurf der "Geschichtskittung" ist nachvollziehbar. Unter anderem wurde der Tatbestand der "sexuellen Gewalt an Schutzbefohlenen in fortgesetzter Tathandlung" festgestellt, einer der Täter gestand. Fakt ist: Die Verantwortlichen des Klosters haben damals ihre Aufsichts- und Fürsorgepflichten sträflich vernachlässigt, haben jahrzehntelang geschwiegen und der Orden ist bis heute nicht bereit, dieses Versagen anzuerkennen.
Dieser Bericht ruft vieles wieder in das Bewusstsein zurück: Die Betroffenen werden nicht nur auf völlig unsensible Weise mit ihren Tätern konfrontiert, sondern müssen gleichzeitig auch erleben, wie die heutigen Verantwortlichen mit diesem Teil der Vergangenheit umgehen: Wegschauen. Schweigen. Ignoranz. Nicht nur der Geschichte des Gymnasiums gegenüber, sondern auch - und vor allem - gegenüber den Betroffenen. Und das heute, 2018.
Für die Betroffenen ist es übrigens kein Teil der Vergangenheit, den sie ignorieren können. Sie leiden noch heute unter den Übergriffen. Manche von ihnen in unvorstellbarem Ausmaß.
Ein weiterer Schlag in das Gesicht der Betroffenen.
Claudia Adams
Kritik an der Berichterstattung - ein Kommentar
Sowohl an das zuständige Team des SWR/RP aber auch zum Teil an diejenigen, die sich in diesem Bericht äußerten, und diesen Teil der Vergangenheit für nicht erwähnenswert hielten: Es ist absurd, davon auszugehen, dass die Vergangenheit in der Gegenwart keine Rolle mehr spiele, indem man sie einfach ausblendet. Die Vergangenheit hat uns geprägt, uns zu dem gemacht, was wir heute sind. Jeden Einzelnen von uns. Sich der Vergangenheit nicht zu stellen, ist feige - aus welcher Motivation heraus auch immer. In seinem Privatleben kann und muss dies jeder mit sich selbst ausmachen. Wenn es sich jedoch um ein solch prägendes Kapitel der Vergangenheit handelt, in dem einer großen Anzahl von Schülern Leid widerfahren ist, unter dessen Folgen sie noch Jahrzehnte später leiden, geht es nicht mehr um eine Privatangelegenheit. Es handelt sich hierbei um eine öffentliche Angelegenheit, die niemals in Vergessenheit geraten darf.
Auch, wenn der Blick auf die Vergangenheit schwer fällt: Es läge in der Pflicht der Verantwortlichen von damals und heute, diesen Teil der Vergangenheit auch "mit den Augen der Anderen" sehen. Das Erinnern ist ein wichtiger Bestandteil bei der menschlichen Entwicklung. Und wer dem Hang zum Vergessen und Verdrängen widersteht, dem kann es auch gelingen, fest gefügte Reaktionsschemata zu durchbrechen. Dem verantwortlichen Orden, in diesem Fall die "Missionare von der Heiligen Familie" ist dies bis heute nicht gelungen. - Den heutigen Verantwortlichen in Biesdorf offensichtlich auch nicht. Ob es den Schulträgern von heute überhaupt gelingen mag, den Umgang mit der Vergangenheit nicht noch weiter ad absurdum zu führen, indem man ihn ausblendet, ist fraglich.
Schließlich schmückt das heutige Gymnasium in Biesdorf auf seiner Homepage den Absatz "Leitbild - die gesellschaftlichen Ziele" mit den Attributen "Grundhaltung", "Streben nach Gerechtigkeit", "Übernahme von Verpflichtungen" aus. Dies mag zwar erstrebenswert klingen, jedoch scheint dies nur ein Idealbild zu sein, von dem das Gymnasium derzeit noch weit entfernt ist. Das "Leitbild" wird durch das ausgewählte Foto, das einen Täter in Großaufnahme zeigt zum "Leidbild". - Es zeugt davon, wie taktlos und unsensibel die derzeitigen Verantwortlichen bis heute mit der Thematik umgehen.
Ebenso sollte man sich hinterfragen, welche Signalwirkung das Verschweigen über die Geschehnisse hat, und welche Reaktionen so manche Aussage in diesem Bericht bei den Betroffenen auslöst.
Wer über die Misshandlungen und den sexuellen Missbrauch am damaligen Internat in Biesdorf schweigt, sollte sich schämen. Denn genau dieses Schweigen hat den Kollaps herbeigeführt, an dem wir uns heute befinden.
Und dieser Bericht lässt deutlich erkennen, wo genau dieses Verschweigen im Jahr 2018 erneut beginnt. / ca