Donnerstag, 27. September 2012

Stellungnahme der KSJ Trier zur Umgangsweise mit Fällen sexualisierter Gewalt von Mitarbeitern der Seelsorge im Bistum Trier


Auch mehr als zwei Jahre nach den großen öffentlichen Skandalen in Deutschland, die immer neue Fälle ans Licht brachten, verweigert die Kirche den ehrlichen Blick in die eigenen Abgründe. Die strukturellen Zusammenhänge nicht erkennen zu wollen, ist der Hauptgrund für ihre Orientierungslosigkeit und ihren unangemessenen Umgang mit den Opfern. Das führt zur unbewussten Übernahme von Täterstrategien und zur Benutzbarkeit von Tätern.

Eine evangeliumsgemäße, an den Erkenntnissen der Humanwissenschaften und am eigenen Kirchenrecht ausgerichtete Vorgehensweise legt folgendes nahe:


1.
Beim Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt muss der Blick auf die Opfer oberste Priorität haben. Aus der Opferperspektive müssen alle Entscheidungen getroffen werden, sie muss die leitende Handlungsoption sein. Heilung der zugefügten Wunden und Linderung der zugefügten Schmerzen kann nur geschehen, wenn die Täter zur Schuldanerkenntnis und zum Schuldbekenntnis geführt werden. Das wird verhindert, wenn Täter, die ihr Amt missbraucht haben, weiterhin im Amt bleiben dürfen. Priester, die straffällig geworden sind, dürfen nicht mehr in die Seelsorge und an den Altar zurückkehren. Sie sind mindestens auf Dauer zu suspendieren (im Extremfall zu laisieren); ihnen kann ein anderes Arbeitsfeld in der Kirche ermöglicht werden, das keine spezifisch priesterlichen Voraussetzungen erfordert. Täter sind außerdem an entsprechenden Sühneleistungen zu beteiligen. 

2. 
Zu den Opfern gehören auch die sog. „sekundären Opfer“, das sind betroffene Gemeinden, hauptamtliche MitarbeiterInnen und Ehrenamtliche, in ihrem Vertrauen verletzt wurden und sich vom Täter benutzt fühlen. Der spirituelle Schaden, der angerichtet wird, wenn ein Priester oder ein/e pastorale MitarbeiterIn zum Täter wurde und die Bistumsleitung nicht konsequent aus der Perspektive der Opfer handelt, ist kaum zu ermessen und noch schwerer wieder gut zu machen.

3.
Die Frage nach den Opfern ist zentral für jede Pastoral, Verkündigung und theologische Begründung kirchlichen Handelns. Sie orientiert sich an Jesus selber, der solidarisch war mit den Opfern seiner Zeit, den Opfern von Gewalt, Hunger und Unrecht. Wir wünschen uns, dass auch der Umgang mit Opfern sexualisierter Macht jesuanisch geprägt ist. Eine Kirche, die sich stattdessen vom Machterhalt leiten lässt, steht in der Gefahr, die Opfer und damit das Evangelium zu verraten. Es wäre ein furchtbarer Irrtum zu denken, das Bekanntwerden der Untat schade der Idee mehr als die Untat selbst.

4.
Wer Gespräche mit den Opfern führt, sollte Wert darauf legen, auch die Täterstrategien zu erforschen. Erkenntnisse aus diesen Gesprächen sollten der Bistumsleitung mit dem Ziel mitgeteilt werden, die Abhängigkeiten, Verstrickungen und Strategien kritisch zu analysieren und strukturell und systemisch zu befragen. Dazu ist es unverzichtbar, eine unabhängige Kommission einzurichten. Nur wenn sich Beratungs-, Präventions- und Aufklärungsarbeit mit pastoralen und kirchenpolitischen Entscheidungen verbinden, kann ehrlich mit der Tatsache sexualisierter Gewalt umgegangen werden. Von der Bistumsleitung fordern wir daher die Einrichtung einer unabhängigen Expertenkommission nach dem Beispiel der ev. Nordkirche. 

5.
Unverzichtbar ist deshalb die kritische theologische Überprüfung des Machtgefüges in der Kirche: Welche Abhängigkeiten und Strukturen begünstigen Täter? Welche Strategien sind insbesondere für kirchliche Mitarbeiter mit naturgemäß großem Vertrauensvorschuss anwendbar? Welche unhinterfragten Haltungen und Blindheiten lassen Verantwortungen ins Leere laufen? Welche verengten Priesterbilder ziehen schwache Persönlichkeiten an und welche Umstände lässt sie ihre spirituelle Macht missbrauchen? Welche Strukturen und Abhängigkeiten sind es, die kirchliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verängstigen, so dass sie das offene und klare Wort in der Öffentlichkeit scheuen?

6.
Es legt sich der Verdacht nahe, dass die sexualisierte Macht das unerträglichste Phänomen eines größeren Machtproblems der Kirche ist. Macht und die damit verbundenen unhinterfragten Handlungsmuster scheinen verfestigt, die Macht in der Kirche hat viele Gesichter: Geldmacht, Verhandlungsmacht, symbolische Macht, Sprachmacht, Deutungsmacht, spirituelle Macht…Das Machtverständnis Jesu war ein anderes: Seine Macht beschreibt sich am besten mit dem Wort „Macht in Solidarität“.

7.
Die KSJ Trier wehrt sich dagegen, dass Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die öffentlich berechtigte Kritik üben, unter den Verdacht geraten, illoyal gegenüber ihrem Arbeitgeber oder der Kirche zu sein. Zum Dienst an der Kirche und in der Kirche gehören der prophetische Auftrag und damit die Verpflichtung zu Mahnung und Kritik. Die KSJ wünscht sich eine Bistumsleitung, die den Glaubenssinn der Gläubigen um Rat bittet, damit die Kirche zurückfindet zu einer evangeliumsgemäßen Glaubwürdigkeit.

8.
Die KSJ Trier arbeitet an der Erstellung eines Präventionskonzeptes des BDKJ auf Diözesanebene mit, das dazu dient, die grundsätzlichen und praktischen Fragen auch auf sich selbst anzuwenden. Dieser Arbeitskreis setzt sich zusammen aus VertreterInnen der einzelnen Verbände im Bistum Trier. Dort wird ein Konzept erarbeitet, welches Hilfestellungen und Beschlüsse in die Verbände bringt, um aktiv Präventionsarbeit zu leisten. Zum Beispiel werden durch das Vertrauenspersonenkonzept in jedem Verband mindst. Person (weiblich und männlich) bestimmt, die als Ansprechpartner in solchen Fragen zur Verfügung stehen. Langfristig gesehen sollen diese Personen durch den AK geschult werden, ein Netzwerk zum inhaltlichen Austausch erstellen und den Verband begleiten (siehe Beschluss BDKJ Diözesanversammlung Juni 2012). Für die nächsten zwei Jahre erarbeitet der AK zusammen mit allen Verbänden verschiedene Methoden, um die theoretische und praktische Arbeit der Verbände zu unterstützen und Prävention als festen Bestandteil in jedem Verband zu etablieren.

Susanne Schwarz von der KSJ Trier ist bereits Mitglied im AK Prävention. Sie und Jonas Becker sind als Vertrauenspersonen im Präventionskonzept der KSJ benannt.

Beschlossen von der Diözesankonferenz der KSJ Trier am 15.9.2012