Freitag, 26. September 2025

Offener Kommentar aus Betroffenensicht: "Keine Straftat" heißt nicht „keine Tat"

Wieder einmal erschüttert ein Missbrauchsfall das Bistum Trier. Und wieder einmal erleben wir Betroffene dasselbe Muster: Wegsehen, Abwiegeln, Intransparenz.

2015 gab es bereits Vorwürfe. -  Das Generalvikariat (!) entschied, es sei „eine disziplinarische Angelegenheit“.  Für  Betroffene klingt das wie ein Schlag ins Gesicht: Missbrauch wird zur Ordnungswidrigkeit heruntergestuft. Kinder und Jugendliche wurden nicht geschützt, die Institution schon.

Es ist kaum zu ertragen, dass derselbe Priester später sogar Ansprechperson für das Schutzkonzept sein konnte. Für Betroffene ist das blanker Hohn: Täter in Schutzfunktionen, Opfer im Schweigen.

Dass die Staatsanwaltschaft nichts gefunden hat, ist ein bekanntes Muster. Wir wissen: Viele Taten sind verjährt, schwer nachweisbar oder in Grauzonen. Aber „keine Straftat“ heißt nicht „keine Tat“. Für uns bleibt das Erlebte real, unabhängig davon, ob es Akten füllt.

Und erst jetzt, also 10 Jahre nach den ersten Vorwürfen, wird nach „neuen Erkenntnissen“ gehandelt. Welche das sind, bleibt verschwiegen. Wieder ein Akt der Intransparenz. Wir sollen vertrauen, obwohl immer wieder das Gegenteil gelebt wird.

Die Zahlen sprechen Bände: 711 betroffene Kinder und Jugendliche, 234 beschuldigte Priester allein im Bistum Trier. Das sind keine Zahlen. Das sind zerstörte Kindheiten, Biografien, Leben. Das ist das Hellfeld. - Die Dunkelziffer wird im Dunklen bleiben. 

Wie viele Kinder mussten und müssen leiden, weil die Kirche Täter schützt und Betroffene ignoriert?

Für uns Betroffene bleibt die bittere Erkenntnis: Die Institution handelt nicht aus Einsicht, sondern erst, wenn der Druck von außen zu groß wird. 

Claudia Adams

PS. Der damalige zuständige Trierer Generalvikar hieß übrigens: Georg Bätzing... 


Hintergrund:

Bistum Trier: "Mit der Hand von Beinen in den Intimbereich gestrichen" - laut Bistum kein sexueller Missbrauch - Beschuldigter Pfarrer wurde anschließend Ansprechperson "für Beschwerden oder den Verdacht eines grenzüberschreitenden Verhaltens oder sexualisierter Gewalt" (Quelle: Blog)

Die Organisation MissBiT – Missbrauchsopfer & Betroffene im Bistum Trier hat mit einer Pressemitteilung auf einen Artikel im Trierischen Volksfreund reagiert. Es geht ausgerechnet um Vorwürfe gegen einen Priester, der maßgeblich an der Erstellung des Institutionellen Schutzkonzeptes zur Prävention von sexualisierter Gewalt beteiligt gewesen sein soll. (Quelle: hpd.de)


BistumTrier: Bischof Ackermann untersagt Bistumspriester Ausübung der priesterlichen Dienste - Grund für die Maßnahme: Vorwürfe sexuellen Missbrauchs einer damals minderjährigen Person.

"Bischof Ackermann untersagt Bistumspriester Ausübung der priesterlichen Dienste
Priester beurlaubt 

Bischof Stephan Ackermann hat einem Priester des Bistums die Ausübung des priesterlichen Dienstes untersagt und ihn bis auf Weiteres von seinen Tätigkeiten in einer Pfarrei des Bistums freigestellt.

Trier – Bischof Dr. Stephan Ackermann hat einem Priester des Bistums Trier die Ausübung des priesterlichen Dienstes untersagt und ihn bis auf Weiteres von seinen Tätigkeiten in einer Pfarrei des Bistums freigestellt. Grund für die Maßnahme sind Vorwürfe sexuellen Missbrauchs einer damals minderjährigen Person. Die Vorwürfe wurden der zuständigen Staatsanwaltschaft gemeldet, die die Ermittlungen allerdings eingestellt hat. 

Erstmals waren im Jahr 2015 Vorwürfe gegen den Priester erhoben worden. Die Verantwortlichen im Bischöflichen Generalvikariat haben diese Vorwürfe umfassend geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei den Vorwürfen um eine disziplinarische Angelegenheit handelte, die nicht unter die damals geltenden Leitlinien (Fassung von 2013) zum Umgang mit Vorwürfen sexuellen Missbrauchs gefallen sind. Die Verhaltensweisen des Priesters erfüllten auch nach Prüfung des Vorgangs durch die Staatsanwaltschaft Koblenz im Jahr 2018/2019 erkennbar keinen Straftatbestand. [Zur Erinnerung: Im Nachgang der sogenannten MHG-Studie hatte das Bistum Trier mit den Generalstaatsanwaltschaften vereinbart, alle (Verdachts-)Fälle sexuellen Missbrauchs im Bistum (nochmals) durch die jeweils zuständigen Staatsanwaltschaften prüfen zu lassen.] Entsprechend der Bewertung des Bistums wurde der Vorwurf auf disziplinarischer Ebene behandelt.  

Nachdem 2024 die Angelegenheit bei der Staatsanwaltschaft Koblenz erneut vorgetragen wurde, und zwar mit einer auf der Basis von neuen Erkenntnissen erweiterten Sachverhaltsdarstellung, und nach der neuerlichen Einstellung der staatlichen Ermittlungen konnte die kirchenrechtliche Voruntersuchung wieder aufgenommen werden. Aufgrund dort gewonnener neuer Erkenntnisse hat Bischof Ackermann nun die genannte Maßnahme veranlasst. Bis zum Erweis des Gegenteils gilt für den Priester die Unschuldsvermutung. Daher ist die getroffene Maßnahme nicht als Vorverurteilung zu verstehen. Sie entspricht vielmehr der gültigen Interventionsordnung und dient der Prävention. 

Das Seelsorgeteam sowie die ehrenamtlichen Gremien der Pfarrei sind informiert."
(Quelle: Bistum Trier)

Samstag, 13. September 2025

Bistum Trier: "Leistungen in Anerkennung des Leids" im Jahr 2024

Das Bistum Trier hat im Jahr 2024 Leistungen von 1.071.500 Euro für 40 Anträge ausgezahlt sowie Therapiekosten in Höhe von 38.737,19 Euro erstattet. «Insgesamt haben 196 Betroffene Leistungen in Anerkennung des Leids erhalten», hieß es in einem Bericht des Bistums. Somit seien seit 2010 aus dem Bischöflichen Stuhl 3.698.500 Euro als Leistungen in Anerkennung des Leids gezahlt und Therapiekosten von 182.037,33 Euro erstattet worden.

«Außerdem wurden 2024 im Nachgang zum Aufarbeitungsprojekt "Albertinum Gerolstein" 29.000 Euro an Betroffene ausgezahlt», hieß es. Einem Bericht eines kirchenunabhängigen Projekts zufolge waren Schüler des ehemaligen bischöflichen Internats Albertinum in der Eifel misshandelt worden.


den vollständigen Artikel auf "zeit.de" lesen

Donnerstag, 4. September 2025

Bistum Trier: Wenn der Leitfaden zum Leidfaden wird: "Wieder bin ich Bittstellerin, wieder halte ich meine Hand auf, während die Kirche darüber entscheidet, wie viel Wahrheit, Anerkennung und Unterstützung sie mir zugesteht" (ca)



Bistum Trier stellt "Leitfaden bei Anliegen zur individuellen Aufarbeitung und Aufklärung von Fällen sexualisierter Gewalt im Bistum Trier"vor. Direkt zur Broschüre auf der Seite des Bistums Trier. 


Wenn der Leitfaden zum Leidfaden wird

Das Bistum Trier eröffnet seinen Leitfaden mit einer Definition von „Aufarbeitung“, die bereits verrät, wohin die Reise geht: in die Relativierung. Statt klar zu benennen, was Aufarbeitung zwingend bedeuten muss – nämlich Verantwortung übernehmen, Strukturen offenlegen, Schuld anerkennen –, versteckt man sich hinter Floskeln: Der Begriff sei „nicht geschützt“ und „nicht einheitlich definiert“. Das ist kein zufälliger Hinweis, sondern ein rhetorisches Manöver: Wer einen Begriff schwammig hält, kann ihn nach Belieben füllen – und gleichzeitig alles abwehren, was unbequem wäre.

Weiter wird unterschieden zwischen individueller und institutioneller Aufarbeitung. Institutionelle Aufarbeitung sei „klar verortet“ bei der Unabhängigen Aufarbeitungskommission – also: ausgelagert. Damit entzieht sich das Bistum der direkten Verantwortung und verweist auf ein Gremium, das zwar unabhängig heißen mag, aber ohne die Kirche nicht existiert.

Die individuelle Aufarbeitung dagegen wird bewusst im Ungefähren gelassen. „Vom Ziel der Betroffenen aus denken“ klingt großherzig, ist aber in Wahrheit ein Papiersatz ohne Substanz. Denn wer definiert letztlich, was möglich ist? Natürlich nicht die Betroffenen selbst, sondern das Bistum – in seinen Verfahren, mit seinen Kriterien, mit seinen Grenzen.

Und wenn es heißt, die Verfahren sollten „knapp und einfach“ beschrieben werden, zeigt sich erneut das Muster: Reduktion auf Verwaltungsschritte. Aufarbeitung wird hier auf Prozesse, Akteneinsichten und Antragswege verkleinert – nicht auf Wahrheitssuche, Gerechtigkeit oder öffentliche Verantwortung.

Ein schönes Versprechen – mit engen Grenzen

Die Verantwortlichen betonen, der Ausgangspunkt müsse das Ziel der Betroffenen sein. Doch die Verfahren, die tatsächlich möglich sind – Akteneinsicht, Anerkennung von Leid, ergänzende Hilfen – bleiben streng innerhalb institutioneller Vorgaben. Ob Akten lückenhaft sind, wie lange ein Verfahren dauert oder welche Unterlagen einsehbar sind: All das bestimmt die Institution, nicht die Betroffenen. Das Versprechen, „vom Ziel der Betroffenen aus“ zu denken, wird so zum Scheinprinzip.

Betroffenenbeirat – eingebunden statt unabhängig

Besonders deutlich wird das beim Betroffenenbeirat. Das Bistum räumt selbst ein, dass ihm „Vorschuss-Misstrauen“ entgegengebracht wird. Doch statt echte Unabhängigkeit zu schaffen, verweist man auf den Beirat – ein Gremium, das direkt an die kirchliche Verwaltung angebunden ist. Betroffene sollen glauben, hier gebe es eine Kontrollinstanz. In Wahrheit bleibt es eine kirchlich kontrollierte Struktur, ohne echte Macht.

Aktenlücken als Zufall dargestellt

Wenn von „lückenhaften Akten“ die Rede ist, klingt das wie ein bedauerlicher Umstand der Vergangenheit. Tatsächlich aber sind diese Lücken das Ergebnis jahrzehntelanger Vertuschung, bewusster Nicht-Dokumentation und systematischer Schonung von Tätern. Wer das verschweigt, lenkt ab vom institutionellen Versagen und tarnt Schuld als bloße „Grenze des Möglichen“.

Keine verbindlichen Fristen – alte Ohnmacht

Besonders schmerzhaft ist die Aussage, man könne keine Bearbeitungszeiten zusagen. Für Betroffene bedeutet das: Wieder Unsicherheit, wieder Abhängigkeit, wieder Machtgefälle. Schon der Missbrauch war geprägt von Kontrollverlust. Dass nun auch die Aufarbeitung keine Verlässlichkeit gibt, wirkt wie eine zweite Entmündigung.

Ein Baukasten voller Hürden

Die Liste der Verfahren klingt nach vielen Optionen: Akteneinsicht, Auskunftsrechte, spirituelle Begleitung, Anerkennungsleistungen, Hilfssysteme, Unfallversicherung, Öffentlichkeit. Doch jedes dieser Verfahren ist an Bedingungen, Formalitäten und Prüfungen gebunden. Was nach Vielfalt aussieht, ist in Wirklichkeit ein Labyrinth, in dem Betroffene sich erneut abmühen müssen – während die Institution jederzeit die Spielregeln vorgibt.

Spirituelle Heilung – ein doppelter Zynismus

Besonders irritierend: Das Bistum bietet „traumasensible Seelsorge“ an, um Betroffenen bei der Aufarbeitung toxischer religiöser Bilder zu helfen. Doch gerade diese religiöse Sprache wurde von Tätern genutzt, um Kinder und Jugendliche zu manipulieren. Wenn dieselbe Institution nun Heilung anbietet, wirkt das wie ein doppeltes Spiel: erst Spiritualität als Waffe, dann Spiritualität als Heilmittel.

Das Ende bestimmt die Institution

Am Schluss erklärt das Bistum, ein Aufarbeitungsprozess könne nur gemeinsam beendet werden. Doch gleichzeitig behält man sich vor, Verfahren „ruhen zu lassen“, wenn „alles ausgeschöpft“ sei. Das bedeutet: Am Ende entscheidet doch wieder die Institution, wann Schluss ist. Betroffene haben keine Garantie, dass ihr Bedürfnis nach Anerkennung, Wahrheit und Gerechtigkeit ernsthaft bis zum Ende verfolgt wird.

Für Betroffene jedoch bleibt das Gefühl, erneut Bittsteller zu sein, während die Kirche darüber entscheidet, wie viel Wahrheit, Anerkennung und Unterstützung sie mir zugesteht. Aufarbeitung wird so zur Verwaltung der Ohnmacht – nicht zu dem, was sie sein müsste: ein klarer, mutiger Schritt in Richtung Verantwortung.

Dienstag, 2. September 2025

Bistum Trier: Wurden auch im Bistum Trier unter Marx, Bätzing und Ackermann Sexualstrafäter nicht nur versetzt, sondern auch Opfer weitergereicht? - Betroffene berichten von Täter-Netzwerken: Kleriker, die sich untereinander absprachen und sich gegenseitig Opfer zuführten



Symbolkarte: Versetzungen von Tätern und pädokriminelle Netzwerke in deutschen Diözesen  (ca)


 (...) Für Manfred Schmitz ist die Vermutung, dass „sein“ Täter Netzwerk-Kontakte hatte, eine zusätzliche Beschwernis, auch wenn er nur unter diesem einen Priester zu leiden hatte: Johannes Besgen (1928-2017) war in den 1960ern Kaplan in Geilenkirchen, der heute 72-jährige Rechtsanwalt damals Messdiener. Besgen nahm ihn mit in Urlaub, machte viele Fotos. Auf einem lehnt der schlaksige Junge in Badehose am Heck des dunkelblauen Opels, dahinter die Kärntener Alpen. Besgen fuhr mit ihm auch zu einem Freund, der Pfarrer in Hermeskeil war. „Passiert“ ist damals nichts: „Ich habe im Auto gewartet, bis der Besgen zurückkam“, erzählt Schmitz. Der Name des Freundes: Edmund Dillinger (1935-2022).

Nach dessen Tod fand sein Neffe in Dillingers Haus rund 7000 Fotos und Negative mit Jungen und jungen Männern in sexualisierten Posen. Einige stammten von Afrika-Reisen, die Dillinger für ein von ihm gegründetes Hilfswerk unternommen hatte. Es gibt zahllose potenzielle Opfer, 20 sind bisher bekannt. Seit 1961 gab es Missbrauchsvorwürfe, weshalb Dillinger immer wieder versetzt wurde, wie Journalisten und Sonderermittler des Bistums Trier feststellten. Dort gehörten zum „grauen“ Netzwerk der Vertuscher auch der derzeitige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und sein Vorgänger: Georg Bätzing und Reinhard Marx.

Schmitz fürchtete, das Dillinger auch Fotos von ihm gehortet haben könnte, die Besgen gemacht hatte. Er durchforstete den Nachlass, fand keine Fotos von sich, allerdings Terminkalender, in denen Dillinger über Jahrzehnte Telefonate, E-Mails, Reisen, Besuche, Messfeiern notiert hatte – wichtige Beweise für ein mögliches Netzwerk. Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken ließ sie allerdings vernichten.

Es gibt Fotos von einigen Blättern. Sie dokumentieren, wie hartnäckig Dillinger die Nähe von Studenten und Priesteramtskandidaten suchte, unter anderem im Bistum Eichstätt. Auffällig sind auch die befreundeten Mitbrüder: Mehrere wurden in den letzten Jahren aus ihrer Gemeinde entfernt oder vom Dienst suspendiert. Der Grund lässt sich denken. (...)


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