Ein Betroffener über die Aufklärungspraxis der katholischen Kirche bei Missbrauchsfällen
Der aktuelle Streit um die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche macht mich sprachlos und wütend. Wütend machen mich vor allem die Ausführungen des Würzburger Bischofs Friedhelm Hofmann. Er spricht von transparenter Aufarbeitung, von einem beispiellosen finanziellen Entgegenkommen. Das ist lächerlich, wenn man bedenkt, dass ein Opfer einmalig 4000 Euro Entschädigung bekommt und der Täter ein Ruhestandsgehalt von monatlich 6000 Euro. Ein Missbrauchsopfer bekommt nicht formlos eine Entschädigung oder einen Zuschuss für eine Therapie. Man muss einen Fragebogen ausfüllen und seinen Therapieplan offenlegen. Das ist absolut unzumutbar. Mein Therapieplan geht niemanden etwas an. Soviel zum Thema Datenschutz, der der Kirche ja angeblich so wichtig ist. In Wahrheit geht es ihr dabei nicht um den Schutz der Opfer, sondern um den der Täter.
Abgründe tun sich auf
Zudem sorgt sich die Kirche nicht wirklich um unser Wohl. Ich spreche hier nicht von harmlosen Befindlichkeiten, sondern von Menschen, deren Leben kaputtgemacht worden ist. Von Kindern, die erst als Erwachsene merken, woher ihre Ängste, ihre Probleme, ihr Scheitern kommen. Manchmal braucht es nur einen kleinen Anlass, und sie brechen komplett zusammen. Dann tun sich plötzlich Abgründe auf.
Wir reden hier über Verbrechen. Nicht über empfindliche Zeitgenossen und ihr Unvermögen, Dinge vergessen zu können. Wir sprechen über Menschen, deren Leben und Zukunft in der Kindheit zerstört wurden. Über Menschen, die sich das Leben nehmen wollten – und es getan haben. Über Menschen, die auch nach 30 Jahren nicht darüber sprechen können, was ihnen widerfahren ist. Verstummt durch grenzenlose Scham, durch Angst vor Repressalien, wenn sie im Dienst der Kirche stehen. Es sind keine Einzeltäter, es sind keine Einzelfälle, von denen wir hier reden. Dazu gibt es viel zu viele Opfer. Wenn die Kirche glaubt, es reiche, sich von Forensikern bestätigen zu lassen, dass der Zölibat nicht unmittelbar im Zusammenhang steht mit pädophilen Handlungen, dann ist das der völlig falsche, ja, ein irreführender Ansatz. Es geht nicht um Pädophilie. Es geht um Macht. Und um Machtmissbrauch. Schutzbefohlene wurden nicht nur sexuell missbraucht. Sie wurden auch brutal zusammengeschlagen. Der Supergau für die Kirche ist doch nicht das Leid, das sie den Menschen zugefügt hat. Der Supergau war der befürchtete Machtverlust. Und jetzt, bei der Aufarbeitung, geht es um einen Machterhalt um jeden Preis. Wir Opfer werden abgespeist mit spärlichen Gesprächen, bei denen es nie um die Struktur des Geschehenen oder um Mitwisserschaft geht. Dabei wünschen wir uns Gespräche, die von der Sorge um uns als Menschen getragen sind, Gespräche, die vermitteln, wir sind bedingungslos bei dir, wir sind und bleiben an deiner Seite, wir teilen dein Leid. Es geht stattdessen immer nur darum, zu verzeihen. Das nutzt uns nichts. Und es bringt die Aufarbeitung keinen Schritt weiter. Im Gegenteil. Den Opfern wird eine weitere Last aufgebürdet. Erst wenn du verzeihst, können sich alle wieder lieb haben. Das ist pervers. Und dient nur dem Wohl der Kirche, in keinster Weise entlastet es die Opfer.
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